Lage im Landkreis wird immer prekärer
Immer mehr Vereine und Schulen ohne Hallen für den Sport

Auch diese Leistungsturnerinnen des TV Engen müssen ab Oktober draussen bleiben vor der »Alten Stadthalle«, weil dort eine Notunterkunft eingerichtet wird. Der Verein hat immerhin ein Angebot aus Aach bekommen, wo eines der zwei wöchentlichen Trainings stattfinden kann, der andere Block findet in der Großsporthalle Unterschlupf, mit dem Umstand, die Geräte immer aufwändig auf und abzubauen, so die Vorsitzende des TV Engen, Marita Kamenzin. | Foto: Fiedler
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  • Auch diese Leistungsturnerinnen des TV Engen müssen ab Oktober draussen bleiben vor der »Alten Stadthalle«, weil dort eine Notunterkunft eingerichtet wird. Der Verein hat immerhin ein Angebot aus Aach bekommen, wo eines der zwei wöchentlichen Trainings stattfinden kann, der andere Block findet in der Großsporthalle Unterschlupf, mit dem Umstand, die Geräte immer aufwändig auf und abzubauen, so die Vorsitzende des TV Engen, Marita Kamenzin.
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Kreis Konstanz.Landrat Zeno Danner und die Leiterin des Amts für Migration und Integration, Monika Brumm, hatten letzten Donnerstag die Alarmglocken für den Landkreis geschlagen. Denn der Strom der Geflüchteten aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern, schwillt immer stärker an, längst hat die Zahl der geflüchteten im Landkreis die der großen Flüchtlingskrise von 2015/16 deutlich überschritten, wenn auch noch lautlos. Die Prognose aber ist, dass mit dem fortschreitenden Krieg doch immer mehr Menschen hier in Deutschland Schutz suchen - und trotz aller aktuellen Erfolgsmeldungen der Ukrainer bleibt ungewiss, wie lange das Land unbefriedet bleibt.

Der Landrat sieht die Region vor gewaltigen Herausforderungen. Am Donnerstag wurde die Uhlandhalle an der Hohentwiel-Kreissporthalle als Letzte noch mit Flüchtlingen belegt, alle anderen Kreissporthallen in Konstanz, Singen, Radolfzell und Stockach sind schon Notunterkünfte. »Aufgrund der aktuellen Zahlen werden diese Hallen bis Ende September belegt sein, dann müssen wir eine Zeit überbrücken bis andere Unternkünfte, zum Beispiel die alte Stadthalle Engen, die alten Schulen in Gottmadingen, das Dekorsy-Areal in Radolfzell oder der eigene Neubau der Kasernenstraße in Radolfzell fertig sind oder umgebaut«, so Danner und Brumm in der Videokonferenz am Donnerstag. Das kann sich aber bis in den November hinein hinziehen, weil allerortens auch die Handwerker oder Material fehlen.
Die Suche nach neuen Standorten für Unterkünfte ist verzeifelt, denn die Zeit spielt gegen den Landkreis, der die Notunterkünfte stellen muss, für die ersten sechs Monate - dann rollt die Welle auf die Gemeinden und Städte für die Anschlussunterbringungen in gleicher Härte zu.
Deutlich wurde gemacht, dass man die Belegung der Turnhallen auch so schnell wie möglich wieder beenden will, denn der Sport in Schule und den Vereinen solle gewiss nicht durch diese Engpässe stanguliert werden. Immerhin: ein Hallenangebot gab es noch aus der Gemeinde Rielasingen-Worblingen, die die Halle der Ten-Brink-Schule zur Verfügung stellen will, was der Gemeinderat aber noch absegnen müsste. »Wir habe in der Gemeinde mit zehn Hallenteilen eine komportable Situation, können dann aber Singen als Ausweichstandort nicht mehr unter die Arme greifen, so Bürgermeister Ralf Baumert.  Froh wäre der Landrat, wenn es noch weitere Angebote gäbe, in die mindestens um die 100 Geflüchtete passen würden. Froh wäre der Landrat auch, wenn er auch dafür die nötigen Helfer und Mitarbeiter bekäme, um die immer mehr Flüchtlinge zu betreuen. Dass hier der nächste Flaschenhals liegt, machte im Mediengespräch der Konstanzer Sozialbürgermeister Dr. Andreas Osner klar: er fordert das Land unmissverständlich auf, die Zuschüsse für die Integration zu verfünffachen, weil das hinten und vorne nicht mehr reicht.

Vereine rochieren - Schüler auf Reisen zum Sportunterricht

Der Landkreis hat angesichts der weiter steigenden Flüchtlingszahlen - und um den Schul- und Vereinsport bald wieder unbehindert möglich zu machen - den Plan entwickelt, mindesten 2.000 Plätze als Notunterkünfte möglichst schnell zu schaffen, wie das am letzten Donnerstag als klare Botschaft verkündet wurde.
Dadurch sollen die Hallen nach und nach wieder zur Verfügung stehen können. Erste Erfolge gibt es bei der Suche. Konstanz will ein Grundstück vor der Stadt zur Verfügung stellen, auch die Gemeinde Rielasingen-Worblingen wiederrum bietet ein Grundstück vermutlich auf der Talwiese an, beides für je rund 400 Personen. Zudem verhandle man mit Steißlingen über ein Grundstück, das eine Leichtbauhalle für rund 200 Personen zur Verfügung stellen könnte, so der letzte Stand. Weiter wird mit Druck gesucht.

Bürgermeister schlagen Alarm

Die Bürgermeister im Landkreis sind indes besorgt um die kulturellen und sportlichen Angebote in den Gemeinden. Der Kreisvorsitzende Johannes Moser bringt es klar zum Ausdruck „Die Gemeinden unterstützen den Landkreis bei der Bewältigung dieser Krise. Eine Beschlagnahmung von kommunalen Hallen für die Flüchtlingsunterbringung kann es nur geben, wenn alle anderen Stricke reißen“. Die Bürgermeister fordern den Landkreis auf, die Nutzung von Hotels oder landeseigenen Gebäuden, wie der universitären Sporthalle, zuerst zu realisieren.
Grundsätzlich ist die kommunale Ebene mit der Hilfe von Bund und Land unzufrieden. „Außer Kanzleitrost haben wir bislang noch nicht viel von den Vertretern auf Bundes- oder Landesebene gehört“, so Johannes Moser, „wir stehen aber vor einer echten Bewährungsprobe. Wir brauchen dringend die Unterstützung der Abgeordneten auf Bundes- und Landesebene, die die örtlichen Realitäten in die Regierungsebene mit Nachdruck einbringen.“ Die auf vielen Ebenen versprochene Hilfe kam bisher bei den Kommunen nicht an „für den ganzen Landkreis wurden für über 3.000 ukrainische Flüchtlinge gerade einmal 3,5 Integrationsstellen bezuschusst“, so eine abgestimmte Erklärung des Gemeindetags vom Dienstag.
Und: »Dabei beginnen die Herausforderungen im Moment erst. Denn die Flüchtlinge, welche derzeit in Deutschland ankommen, werden in 6 Monaten den Gemeinden zugewiesen, damit diese sie langfristig unterbringen und integrieren. „Keiner der politisch Verantwortlichen hat bisher beantwortet wie dies vor dem Hintergrund der Wohnraumknappheit funktionieren soll. Die Kommunen können diese riesige Aufgabe nicht alleine bewältigen“, so äußert sich der Kreisvorstand des Gemeindetags.

Hallenrochaden in den Städten

Wo die Kreissporthallen bereits für die Hallenplanung fehlen, herrscht gerade höchste Hektik zwischen den Rathäusern und den Vereinen, da die Okkupation der letzten Hallen auch noch mit dem Schulbeginn zusammenfällt. Am härtesten betroffen ist Radolfzell, wo aktuell ja nicht nur die beiden Kreissporthallen fehlen, sondern auch der Ersatzneubau der Markolfhalle erst im Frühjahr 23 zur Verfügung stehen wird: »Unsere Strategie ist derzeit, dass die Stadtverwaltung mit den Verwaltungen der Nachbargemeinden in Kontakt steht und abklärt, inwieweit eine Nutzung der Hallen der örtlichen Vereine, aber auch der Berufsschulen möglich wäre«, so die Antwort auf die Nachfrage des Wochenblatts.  Zudem würden die Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit dem Vorschlag auf die betroffenen Vereine zugehen, sich mit den Nachbarvereinen in Verbindung zu setzen und zu besprechen, ob eventuell gemeinsam Trainingseinheiten absolviert werden können. Einige Vereine hätten hier schon die Initiative ergriffen und suchten gemeinsam nach Lösungen. Die städtische Abteilung Schulen und Sport werten aktuell noch die neuen Stundenpläne für das Schuljahr 2022/2023 aus, um eventuell freie Hallenzeiten zu erfassen und diesen Stand mit den Bedarfen der Kreisschulen abzugleichen. Eine Übersicht werde voraussichtlich bis Ende der Woche vorliegen, damit die Kreisschulen schnell die nötigen Pflichtstunden absolvieren könnten, wurde als Zwischenstand durchgegeben. Darüber hinaus werde geprüft, ob private Hallen von Vereinen genutzt werden können, in Absprache auch mit der örtlichen IG Sport.

Perspektivisch nicht durchzuzahlen

In Singen hört sich das aktuelle Szenario ähnlich dramatisch an: Die Palette der betroffenen Vereine reicht von den Handballern des DJK über den Tischtennisclub Singen bis zu den Basketballern und Volleyballern. Die Stadt Singen konnte die Vereine, die bisher in der Kreissporthalle waren, in städtischen Hallen unterbringen, antwortet Pressesprecher Stefan Mohr auf Anfrage des Wochenblatts. Der Judo-Club, der bislang die Uhlandhalle genutzt habe, sei in einem privaten Raum untergekommen. »Damit sind wir an die Grenzen des Machbaren gestoßen«, so der Stand in Singen.
Die aktullen Lösungen sind quantitativ und qualitativ mit sehr großen Einschränkungen verbunden, da zum Beispiel Handball nun auf einer Fläche von 40 x 20 m stattfinden muss. Zudem müssen die Gruppen getrennt werden, weil die Hallenflächen nicht mehr hergeben oder zwei Mannschaften mit 15 bis 20 Personen teilen sich große Hallen oder die Trainingszeiten müssen von 90 auf 70 Minuten verkürzt werden.»Das führt auch schnell zu Wettbewerbsverzerrungen in den Ligen, da das Training nur noch
eingeschränkt möglich ist«. Die Ansage: »Aus Sicht der Stadtverwaltung ist dies perspektivisch nicht durchzuhalten. Da können Strukturen zerschlagen werden. Wer darf in die Hallen? Nur noch Kinder und oder auch Erwachsenengruppen? Werden
Wettbewerbsgruppen vor Breitensport bevorzugt?«, stellt das Statement aus dem Singener Rathaus  in den Raum.

Noch hirnen in Stockach

Auch in Stockach läuft noch eine Umverteilung: »Der Schulsportunterricht und der Vereinssport, der durch die Schließung der Kreisturnhalle gestrichen wurde, kann durch die städtischen Hallen nicht in vollem Umfang aufgefangen werden«, so Hauptamtsleiter Hubert Walk. »Wir sind noch dabei, vor Ort Lösungen zu finden.« Ob es Hilfestellung aus der Nachbarschaft gibt, blieb offen.

Auch diese Leistungsturnerinnen des TV Engen müssen ab Oktober draussen bleiben vor der »Alten Stadthalle«, weil dort eine Notunterkunft eingerichtet wird. Der Verein hat immerhin ein Angebot aus Aach bekommen, wo eines der zwei wöchentlichen Trainings stattfinden kann, der andere Block findet in der Großsporthalle Unterschlupf, mit dem Umstand, die Geräte immer aufwändig auf und abzubauen, so die Vorsitzende des TV Engen, Marita Kamenzin. | Foto: Fiedler
Für Wochenblatt schauen die jungen Turnerinnen des TV Engen in »ihre« Halle, die bald Notunterkunft für Flüchtlinge sein soll. Für den Verein ist der Aufwand gewaltig: über die Woche finden 20 angebote allein durch den Verein dort statt die nun alle woanders untergebracht werden müssen. Improvisieren gehört da dazu. Tröstend ist in Engen die Perspetkive, dass spätestens bis Ende des Jahres die neue Schulsporthalle nebenan fertig sein soll. | Foto: Fiedler
Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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