Protestaktion der Pharmazeuten im Landkreis
Warum Apotheken oft eine Bohrmaschine brauchen

Einige ApothekerInnen und Mitarbeitende versammelten sich am Mittwoch, um zu protestieren. Das Ganze fand vor der Apotheke Sauter statt, die an diesem Tag die Notversorgung übernahm. | Foto: Anja Kurz
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Singen. Bei Streiks und Protesten sind einige Dinge weit verbreitet unter den Teilnehmenden: Trillerpfeifen, Tröten oder Töpfe - Lärm machen ist die Devise. Ähnlich gestaltete sich dies auch am Mittwoch, 14. Juni, als sich in der Innenstadt Apotheker und deren Mitarbeitende zum bundesweiten Protesttag versammelten. Vor der Apotheke Sauter in der August-Ruf-Straße waren neben den klassischen Lärmmachern auch Pillendosen und Mörser vertreten.

Angemeldet wurde die Kundgebung durch Ariel Wagner, er arbeitet in der Apotheke seiner Frau in Bodman-Ludwigshafen als Pharmazeutisch-technischer Angestellter(PTA) und unterstützt dort auch im kaufmännischen Teil. Zusammen mit Michael Dohm, Inhaber der Scheffel-Apotheke in Radolfzell, leitete er die Veranstaltung inhaltlich vor den rund 170 angemeldeten Mitdemonstrierenden aus dem gesamten Landkreis.

Zu komplex für die Macher

Zur Freude Wagners habe es bereits einige Berichte gegeben, die er allerdings als "nicht ganz vollständig" bezeichnet. Den Grund sieht er in der komplexen Gesetzgebung, die selbst deren Macher nicht mehr verstehen würden. Auch wäre bei einem Verdienst von rund 170.000 Euro der Protest infrage gestellt worden. Hierbei handele es sich jedoch um das durchschnittliche Betriebsergebnis, von dem noch weitere Kosten und Steuern abgingen. Etwa 60 Prozent der Apotheken liegen ihm zufolge unter diesem Wert, in den letzten zehn Jahren hätten bundesweit 3.500 Geschäfte geschlossen, etwa 300 bis 400 pro Jahr. Hier sei die "Tendenz steigend", betonte Ariel Wagner, die Berufsgruppe keineswegs mehr "privilegiert".

Auch im und um den Landkreis Konstanz hätten in den letzten Jahren viele Inhaber aufgegeben. 31 Beispiele zählte der PTA "ohne Anspruch auf Vollständigkeit" auf, etwa die Hochrhein-Apotheke in Gailingen oder die Haydn-Apotheke in Radolfzell. Ländliche Regionen seien besonders betroffen, die wohnortnahe Versorgung in Gefahr. Dabei schätzten Kunden oftmals die individuelle Beratung und schnelle Lösungen, die Apotheker vor Ort bieten können. Zustellungen seien durch Botendienste ebenfalls innerhalb von zwei Stunden möglich.

Während der Pandemie spielten die Apotheken bei der Verteilung von Masken und Zertifikaten dann eine wichtige Rolle, so Murat Baskur, Inhaber der Konstanzer Apotheke im Seerheincenter, wenn auch unter einem beachtlichen Mehraufwand. In dieser Zeit hätten Apotheken sicherlich Geld dazuverdient, dies sei allerdings ein einmaliger Effekt gewesen.

"Das Gesundheitssystem wird kategorisch kaputtgespart"

Es brauche eine Honorarerhöhung, darin sind sich auch Dohm und Wagner einig. Aktuell verdienen Apotheken an jedem verschreibungspflichtigen Medikament etwa 8,35 Euro, wovon zwei Euro an die Krankenkassen gehen. Der feste Satz soll gewährleisten, dass die Beratung weitgehend unabhängig stattfinden kann. Für die Pharmazeuten gab es innerhalb von 20 Jahren drei Prozent Inflationsausgleich vor etwas mehr als zehn Jahren, bei mittlerweile 42 Prozent Inflation, so Ariel Wagner. Mitarbeitern faire Löhne zu bezahlen sei kaum möglich, der Nachwuchs bleibe aus. Dem stimmte auch Dohm zu: "Andere Gewerkschaften würden zehn Jahre ohne eine Honoraranpassung nicht verstehen."

In der gelben Weste: Ariel Wagner, Organisator des Protests | Foto: Anja Kurz
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"Es ist Tatsache: Das gesamte Gesundheitssystem, und es war eines der besten, vielleicht sogar der Welt, wird kategorisch kaputtgespart", verdeutlichte Wagner. Und das an der falschen Stelle, unterstrich er durch Schätzungen der Verdienste der Krankenkassenvorstände, mit bis zu 386.000 Euro im Jahr. Nur rund zwei Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen fließe in das Apothekennetz, ein Kostenaufwand, der sich durch den Umsatz für die Kassen in etwa selbst trägt. Auch das Bundesgesundheitsministerium tätige Investitionen, die Dohm als in der Regelversorgung nicht nötig betrachtet. Hierzu zählt er etwa die geplanten Gesundheitskioske, mit Kosten in Höhe von 700 Millionen Euro.

Wirkstoff- statt Gasspeicher

Die im Apothekengesetz vorgeschriebene "Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln" sieht Dohm durch die anhaltenden Lieferschwierigkeiten gefährdet. Statt einer Bauverzögerung wie im Handwerk, bestehe für einen Diabetiker allerdings ohne Insulin Lebensgefahr: "Warum gibt es denn einen Speicher für Gas, aber keine Wirkstoffspeicherung?"

Auch die Umstellung auf elektronische Rezepte ab 1. Juli kritisiert Dohm. Die verzögere sich immer weiter, das Rezept werde, Stand jetzt, kaum genutzt. Das verdeutlichte auch eine spontane Umfrage unter den Anwesenden, die vermehrt lediglich einstellige Zahlen an eingelösten E-Rezepten vermeldeten. Allerdings liege dies nicht an den Apotheken, die entsprechend ausgestattet seien, sondern an der technisch miserablen Umsetzung für die Ärzte.
Dabei bedeute laut PTA Wagner weniger Digitalisierung auch mehr Sicherheit. Zwar würden die Rezeptdaten "entpersonalisiert", es sei jedoch fast nicht zu verhindern, dass diese mit Daten aus anderen Quellen zusammengeführt werden. Szenarien, wie unterschiedliche Tarife bei der Krankenversicherung abhängig von den Gesundheitsdaten beschrieb er als durchaus wahrscheinlich, in Australien sei dies bereits der Fall.

Apotheken müssen eine Bohrmaschine haben

Eine weitere Hürde für Apotheken sehen die Protestierenden im Bürokratismus mit seitenlangen Listen voller Dokumentationsaufgaben. Hier hebt Ariel Wagner das mit Kosten verbundene "Präqualifizierungsverfahren" als ein Beispiel hervor. Diese Genehmigung zum Verkauf von Hilfsmitteln, wie etwa Blutdruckmessgeräten oder Gehhilfen, müsse alle fünf Jahre durchgeführt werden. "Alle Pharmazeuten sind von der Ausbildung her qualifiziert, diese Dinge auszugeben", findet jedoch Wagner. Innerhalb der fünf Jahre müsse alles zudem zweimal bestätigt werden (das "Re-Audit"), mit ähnlichem Arbeitsaufwand. Das zwölfseitige Formular hierzu beanspruche rund zwei Tage in der Bearbeitung. Exemplarisch ließ er dem WOCHENBLATT einen Antrag zukommen, mit räumlichen oder sachlichen Voraussetzungen, wie einer Bohrmaschine, die nachgewiesen werden müssen.

Bei der Kundgebung wurde zudem ein runder Tisch mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten aus dem Landkreis Konstanz, Andreas Jung und Diana Stöcker (CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreis Lörrach und Mitglied im Gesundheitsausschuss) angekündigt. Hier wollen die Apotheker ihre Anliegen vorbringen, vorgesehen ist dies für den 13. Juli, so Ariel Wagner auf Nachfrage des WOCHENBLATTs.

Redakteur Tobias Lange sprach bereits vor den Protesten mit Apothekern in der Region:

„Wir streiken für eine verlässliche Arzneimittelversorgung“
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Autor:

Anja Kurz aus Engen

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