„Helios“ verschärft den Marketing-Kampf um Kunden
Bleibt der Patient auf der Strecke?

Wird der Kampf der Krankenhäuser um die Patienten zur reinen Marketing-Frage? Helios legt in Überlingen auf 16 Seiten Hochglanz eine Schippe nach: Alles super – fast wie einst bei Clementine von der Waschmittelwerbung. Während sich im Kreis Konstanz viele noch schamhaft nach den Fusionsstreitigkeiten die Wunden lecken, wurde jenseits des Bodensees professionell aufgerüstet. Friedrichshafen rüstet nach, Überlingen ist zum lange ersehnten Bodensee-Ankerplatz von Helios geworden. Mit Klinik-Geschäftsführerin Sabine Schwörer hat dort eine Frau das Zepter in der Hand, die die Strukturen des westlichen Bodenseeraums bestens kennt. In Singen gehörte sie zum früheren Führungsteams von Geschäftsführer Friedbert Lang, das politisch gewollte Fusionen in klinische Wirklichkeit umsetzen musste. Sie hatte Führungsaufgaben in Engen übernommen, sorgte zuletzt für die Akzeptanz in Radolfzell. Nach dem personellen Großreinemachen im HBH-Verbund landete sie bei Helios im Hochschwarzwald, um in Überlingen an den See zurückzukehren. Helios hatte früher schon das Radolfzeller Krankenhaus geführt, später in der Phase der Fusionsdebatten im Hintergrund die politischen Diskutanten gelockt.

„Die Kriegskasse ist gefüllt“, meint ein Kenner der Kliniklandschaft zur neuen Werbeoffensive des bundesweit agierenden privaten Krankenhausträgers. Die Werbung trifft auf jeden Fall den Zeitgeist: Überlingen hat alles, kann alles – und verkürzt jetzt auch noch durch das angeblich neue Triage-System die Wartezeiten für die Patienten. In neun Kliniken des Hauses warten zu den Sprechstunden im Sekretariat neun Telefonnummern auf den Anruf. Das ist die Botschaft auf der Rückseite der Werbeschrift. Die Auflistung der Spezialgebiete ist eindrucksvoll. Doch dann kommt die Nachfrage: Zertifiziert? Oder gar schon rezertifiziert? Damit werben andere Kliniken im Bodenseeraum. Bei Helios landet man bei Google in Bad Grönebach. Andere diskutieren, ob eine Zertifizierung über KTQ oder ISO 9001 besser ist? Meine Frage: Wo bleibt da der Patient als Kunde mit seinem Kenntnisstand? Einfach auf der Strecke?

Im HBK-Klinikverband vollzieht sich die Neuordnung Zug um Zug. Mehrfachangebote soll es an unterschiedlichen Standorten nicht mehr geben. Neue Gesichter gibt es bei Chefärzten und Oberärzten, neue Spezialitäten werden ausgeprägt. An die vorhandenen Strukturen müssen sich viele nach gewöhnen. Nur zum Erinnern und Nachdenken: Ein Kreiskrankenhaus haben wir immer noch nicht, denn Stockach ging einen eigenen Weg. Die Stadt subventioniert ihr Krankenhaus, die anderen Städte dürfen das nicht mehr. Da gilt für die GmbH eben EU-Recht. Offen ist derzeit, wie es in Engen weitergeht. Die Schließung des Standorts durch den Kreis-Träger will die politische Gemeinde so nicht hinnehmen. Da ging es bei der Argumentation zuletzt um das medizinische Personal: Wer will schon nach Engen? Da sind wir wieder beim Marketing: Stockach setzt auf Belegärzte mit Spezialitäten, die sich gut bewerben lassen.

Rund um den See kennt man sich eben gut. So war Martin Stuke, derzeitiger Stockacher Krankenhaus-Geschäftsführer, zuvor in dieser Funktion in Konstanz tätig, wozu auch Stockach als Partner gehörte. Stockach – Überlingen – Radolfzell, da liegt vieles nah. Und Wohnortnähe ist immer noch ein entscheidendes Argument bei der Krankenhauswahl. Patientennähe ist ein weiteres Stichwort. Da führt Helios sein Triage-System ins Feld. Dadurch sollen Patienten nicht nach ihrem Eintreffen sondern nach dem Schweregrad und der Dringlichkeit ihrer Erkrankung behandelt werden. Diese Ampel hat vier Farben, auf Grün zeigt es „normal“ an. Von „Dringlich“ bis sofort“ schaltet die Ampel von Gelb über Orange auf Rot („sofort“). Tolle Merkmale. Aber wird bisher nicht schon nach Dringlichkeit in Kliniken gearbeitet? Ich denke da bloß an die Unfallaufnahme? Oder: Wird das, was planbar ist, eben nicht auch wirtschaftlicher?

Als ich den Helios-Prospekt am Frühstückstisch mit der Morgenzeitung las, saß meine Tochter neben mir, die gerade aus Australien zurückgekehrt ist. Die erinnerte es an öffentliche Krankenhäuser in Australien, wo es die Frage gibt: „Wann sieht man endlich einen Arzt?“ An den Krankenschwestern kommt keiner vorbei. Deshalb versicherte sich meine Tochter dort privat, um im Ernstfall in Privatkliniken einen Arzt sehen zu können. Ihre Rückfrage. „Ist das bei Euch jetzt umgekehrt?“ Ja, das Triage-System kommt aus Manchester. Na ja, very british! Nochmal: Wo bleibt bei dem allen der Patient? Bei der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft haben Helios und Co. längst gute Karten; der Berliner Sozialminister rennt seinerseits als „Gut-Mensch“ durch die Arenen. Da bleibt die Frage nach den Krankenkassen: Sie sind selbst zwar in einen Marketing-Wettbewerb gedrängt, haben den Blick auf das System als Ganzes hoffentlich noch nicht verloren. Der Patient braucht gerade in gesundheitlichen Krisenzeiten einen Anker. Das ist sein Hausarzt oder ein niedergelassener Facharzt seines Vertrauens. Oder ein langjährig vor Ort tätiger Chefarzt oder Oberarzt: Der muss aber mehr tun, als Chefarztvorträge im Rahmen der „Gesundheitssprechstunde“ zu halten.

Wer von außen unsere Gesundheitsregion betrachtet, dem fällt auf, wie massiv hier das Kirchturmdenken immer noch in einer globalisierten Welt immer noch ist. Dabei sind die Türme von Münstern und Kirchen niedriger als viele meinen. Klage, Kummer, Trauer sind Hinweise auf die Funktion der Karwoche. Das ging mir bei dem Krankenhaus-Thema durch den Kopf. Und dann ein Kompliment an Radolfzell, Singen und Konstanz, die ihre Krankenhäuser trotz finanzieller Not nicht verkauft haben. Der erste hätte viel Geld bekommen, der Rest wäre dann „kanibalisiert“ worden. Das habe ich damals schon so geschrieben. Vieles ist eingetreten. Umso mehr wundert mich, warum kommunale Krankenhäuser nicht massiv gegen Marketing-Maschen vorgehen. Wegen psychoonkologischer oder diabetologischer Beratungsangebote „muss“ niemand zu Helios nach Überlingen gehen.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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