Warum am Aschermittwoch nicht alles vorbei ist . . .
Der Patient als „unbekanntes Wesen“

Nein, die Welt bewegen im Moment ganz andere Dinge! Und auch im Wochenblatt-Land denkt wahrscheinlich außerhalb von Stockach kaum jemand an den Aschermittwoch oder gar die Fasnet zurück. Ich tue es in diesen Tagen, weil der vierte Politische Aschermittwoch mit der Debatte um die Zukunft des Gesundheitswesens keineswegs eine Eintagsfliege gewesen sein soll. Deshalb beginnt auch im wöchentlichen Print-Produkt eine neue Serie mit dem Emblem des Aschermittwoch-Mikrophons mit der ganz einfachen Frage, wohin ich mich in Notfällen des täglichen Lebens hinwenden kann? Das sind nämlich die kleinen Dinge, die unsere Leser wirklich existentiell bewegen. Und wir helfen gerne, damit angebotene Hilfe auch bei den Menschen ankommt, für die sie angedacht ist. Und deshalb bleiben wir am Ball.

Das war eigentlich schon im letzten Jahr so geplant. Doch dann lief alles ganz anders! Es ging am Aschermittwoch 2013 um die Zukunft des Handels in unseren Städten. Auf der Bühne der Scheffelhalle saßen kompetente Vertreter aus unserer Region, von denen zumindest zwei sehr genau wussten, was mit dem ECE-Einkaufszentrum in Singen zur Diskussion steht. Ich sagte ihnen vor Beginn der Diskussion, dass ich natürlich auch gerne über ECE sprechen würde – wenn sie es wollten! Aber sie wollten nicht! Als ich ein Vierteljahr später alle sechs Teilnehmer anfragte, was sich nach ihrer Einschätzung an der Handelslandschaft im Frühjahr verändert hätte, antwortete nur einer. Und der war aus Radolfzell. Dann war in Singen OB-Wahl, wo das Thema trotz anberaumten zweiten Gutachtens zum Handel in der City und möglichen Überkapazitäten letztlich nur unter vorgehaltener Hand „gehandelt“ wurde. Letzte Woche nun haben die potentiellen Planer und Investoren die Pläne auf den Tisch gelegt. Die Stadt musste die GVV grundstücksmäßig auf dem Kunsthallen-Areal entlasten. Und um Roland Grundler wird weiter getrauert. Gleichzeitig werden die Weichen Richtung Zukunft gestellt. Meine Aschermittwochs-Lehre: Die Möglichkeit einer frühen Bürgerbeteiligung bei einem Projekt dieser Größenordnung im öffentlichen Raum wurde vertan. Dies ist ein Produkt der Geheimhaltungspolitik aus der Ära Oliver Ehret!

Aus Fehlern lernt man! Und deshalb folgt auf den diesjährigen Aschermittwoch kein Schweigen im Walde. Bisher haben wir acht Themen auf unserer Liste, bei deren Abarbeitung wir wiederum auf die Podiumsteilnehmer zukommen werden. Dabei ist nur zu hoffen, dass nicht die falschen Themen von den wirklichen Problemen ablenken. Was hat nur den neuen Bundesgesundheitsminister geritten, die Bettenfrage hochzuspielen? Ein vermeintlicher Experte traf im ZDF den Kern: Längst wird nicht mehr nach Betten mit den Kostenträgern abgerechnet! Wir sind längst bei den Fallpauschalen angekommen, über deren konsequente „Scharfstellung“ man allerdings lamentieren kann. Im Wochenblatt-Land haben wir durch die Fusion eine Menge dazugelernt. Unvergessen ist der Abschied des früheren Singener Chefarztes Hans-Kuno Kley, der den verbliebenen Nachtschwestern einen „Radelrutsch“ schenkte! Sinnfälliger kann man das Personalproblem nicht machen. Aber da ist es einfacher über Bettenzahlen zu reden und eine bessere Patienteninformation zu fordern.

Gerade die Patienteninformation ist es, die uns in diesem Jahr am Herzen liegen wird. Das fängt bei den Notrufnummern an: Da gibt es „tausend“ Beratungsstellen – aber der „Kunde“ muss erst herausfinden, welches für ihn die richtige Adresse ist!? Wir kennen die Presseerklärungen von Ämtern, was sie uns alles wieder an Gutem zukommen lassen werden! Meine generelle Kritik: Man nimmt die Ankündigung für die Tat! Dann muss es ja nicht unbedingt auch noch machen!

So kommt es mir auch bei dem virtuellen Rundgang durch die Beratungsangebote im Sozialbereich vor. Ämter und Behörden können sich auf die Schulter klopfen, was sie alles leisten. Doch kommt das unten beim Patienten zum Beispiel an? Mir fehlt schlichtweg die Nähe. Zu sehr wurde das Personal bei Krankenkassen und deren Pflegeversicherungen über Jahre hinweg ausgedünnt – und auch schon vor Ausbruch der totalen Internet-Gläubigkeit. Da hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Als meine Mutter zum Pflegefall wurde, suchte ich die Pflegekasse ihrer Werkskrankenkasse auf. Hinter mehreren Bürotüren gab es nur eine Mitarbeiterin, die auf jeden Fall auch für die Pflege zuständig war! Ich kannte das bunte Treiben auf der Etage von früher – und war von den Folgen der Blümschen Pflegereform irritiert.

Und meine Krankenkasse heute? Die Zahl der Geschäftsstellen reduziert. Über ärztliche Verordnungen entscheidet ein fernes Hilfsmittel-Kompetenz-Zentrum. Da kommt dann sofort die Ablehnung. Ein aktueller Fall: Ein behinderter Patient hat ein Arthrodosenkissen im Wert von 129 Euro vom Hausarzt verschrieben bekommen, damit er schmerzfreier vom Stuhl aufstehen kann. Ihm hat gerade ein Orthopäde die Operation der rechten Schulter angekündigt. Problem: dann fehlt ihm nach der Operation für zwei bis drei Monate ein belastbarer rechter Arm. Der Patient geht auf sofortige Entlastungssuche, ändert Liege-und Sitzmöglichkeiten in der Wohnung durch private Anschaffungen. Und dann kommt der Vordrucktext der Kasse: „Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mit verantwortlich, sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden.“ Ein solcher Brief ist die beste Motivation für die neue Themenserie im Wochenblatt. Würde ich in meinem Rollstuhl vor der Dame in einem Beratungszimmer sitzen, wäre der Satz so nicht gefallen. Das ist alles anonym geworden und für die Krankenkasse bin ich heute „das unbekannte Wesen“! Aber das kann sich ändern, denn warum müssen wir das alles so hinnehmen?

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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