Da kommen die Schweizer mit Behinderten-Bonus
Doppelte Mehrwertsteuer am Samstag . . .

Gute Nachricht für Schweizer: Oswald Kolle ist tot und Peer Steinbrück will nicht mehr Kanzler werden. Aber unsere Nachbarn lechzen weiter nach grünen Ausfuhrscheinen! Für mich gibt es Unthemen. Schließlich waren wir im Grenzgebiet auch schon Bittkunden in Ramsen oder gar Buch, wohin der Singener Nordstadt-Busunternehmer Schilling nach dem Krieg die kaufwütigen Nachbarn in den Usego-Laden fuhr. Waren wir die besseren oder schlechteren Grenzgänger? Wir kauften anderes: Kaffee, Tee, Kakao und natürlich Schokolade. Später waren es die Nudeln und natürlich die günstigen Produkte von Migros. Mein erstes Migros-Ergebnis war in Stein am Rhein in der Altstadt. Da gab es beim Schulausflug gleich hinter dem Stadtturm links einen kleinen Laden. Billig war dort das Apros-Getränk. Andere lechzten nach Ovomaltine. Aber das war nie meine Geschmacksrichtung. Am Tag, als Andreas Renner Minister wurde, leitete ich am Hegau-Gymnasium die Gedächtnisveranstaltung zur Schweizer Schülerspeisung nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe

an dem Tag viel dazugelernt. Mit Nachbarschaft ist es wie mit Verwandtschaft: Man kann sie sich zwar nicht aussuchen, oft aber in Notlagen brauchen! Geschichtlich verbindet und vieles, trennt uns aber auch. Die EU scheuen die Schweizer wie der Teufel das Weihwasser. Doch da muss ich vorsichtig sein, denn meine uniierte evangelische Landeskirche hat auch theologische Ursprünge in der Schweiz!

Was soll das mit Kolle und Steinbrück? Beiden bin ich begegnet. Kolle hat das Drehbuch „Der Schweizer, das unbekannte Wesen“ nicht mehr geschrieben. Und Steinbrück schickt seine Kavallerie auch nicht mehr zu uns an die Grenze. Dabei könnte sie den Kampf um die grünen Ausfuhrscheine regeln! Als er seinen großen Auftritt in Bohlingen zum Auftakt der Sichelhenke hatte, war er friedlich gestimmt. Schließlich schlummert auch bei uns in manchem der Urschweizer. Das sind diejenigen, die sich abschotten wollen, die splendid Isolation suchen. Oswald Kolle hätte noch viele unbekannte Menschen ans Tageslicht in Buch oder Film zerren können. Auch der Schweizer hat viele Facetten. Andere, mir bisher unbekannte, habe ich an den letzten beiden Samstagen erlebt. Und plötzlich war es auch für mich ganz persönlich ein Thema.

Plötzlich wirbt ein Baumarkt damit, an diesem Samstag die Wehrwertsteuer als Rabatt zu gewähren. Ja, so ab 100 Euro Einkauf. Das große Plakat steht Ende der Singener Oststadtbrücke. Und dann ddie private Entscheidung: Lieber rechts statt links! Das war falsch. Wir hatten zwar immer noch vor 10 Uhr, dem Zeitpunkt der Samstaginvasion. Aber wir hatten die Rechnung ohne die Frühaufsteher aus der Schweiz gemacht. Dabei bekommen sie die Mehrwertsteuer doch immer an der Grenze vergütet! Wollen die jetzt zweimal auf einmal die Mehrwertsteuer sparen? Ich hatte die Samstagwerbung eher als einen freundlichen Wink mit dem Zaunpfahl an die deutschen Kunden verstanden!?

Wir waren noch guter Hoffnung, denn mit Behinderten-Parkplätzen hat das natürlich alles nichts zu tun. Und die steuerte meine Tochter mit mir und mit meinem Rollstuhl natürlich an. Pech gehabt! Denn auf den beiden nahe des Eingangs standen schon die Schweizer! Meine Tochter wartete hinter einem scheinbar freiwerdenden Behindertenparkplatzes. Hinter uns wurde gehupt, vor uns signalisierte eine Mitfahrerin, sie brauche noch den Ausfuhrschein. Und sie wedelte mit einem blauen Behinderten-Dokument, einem solchen, wie es deutsche Behörden ausstellen. Kurzum: Als ich im Rollstuhl saß, war mir der Einkaufsspaß vergangen. Wir hatten nach zehn Uhr und die Käufer-Karawanen strömten rückwärtig an uns vorbei. Dann wollte ich lieber auf die Mehrwertsteuer verzichten! Meine Tochter war damit noch nicht zufrieden, wollte den Zustand an der Info-Theke beklagen. Ein Schweizer mit grünem Schein drängte sich von hinten an ihr vorbei. Und ihr wurde zu Recht gesagt: Das da vorne sei öffentlicher Parkraum! Daran erinnerte ich mich: Den hatte Rüdiger Neef dem Bauherrn aufs Auge gedrückt!

Also nächster Anlauf nach links. Hier hat Bürgermeister Rüdiger Neef die Behinderten-Parkplätze nicht mehr reglementiert, denn da war er schon in den Ruhestand geschickt! Gutes Einparken, gutes Shopping, wenngleich es genügend Schweizer gab, denen einmal Mehrwertsteuer zurück genug war. Nächster Samstag, neues Glück. Für die Ausfuhrbescheinigungen gibt es im Möbelmarkt einen Sonderschalter. Das ist auch gut so! Plötzlich beschleicht mich Mitleid mit den Konstanzern, die jetzt schon auf neue Computer-Systeme hoffen. Ist man plötzlich als Kunde nur noch Gast im eigenen Land? Ich denke an die Nachkriegszeit zurück: Usego ist mir als Kaffee-Marke geblieben. Sonst wären wir in Lindes ertränkt worden. Und alles mit Zichorie! Aber dann passiert es: Ein glücklicher Schweizer Möbelkunde verhandelt im Foyer des Möbelhauses mit seinem örtlichen Handwerker über den richtigen Einbau seines aktuellen Glückskaufs! Er lässt keinen Zweifel aufkommen, wer Herr im Haus ist. Die Minuten verrinnen, seine Dominanz nimmt zu. Ich flüchte. Auf den Behinderten-Parkplätzen stehen Autos mit Schweizer Kennzeichen. Es ist eben wieder Samstag!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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