Geschichtliche Anmerkungen mit politischer Dimension
Ein Welttag löst noch keine Probleme

Welttage öffnen mediale Schubladen. Zwischen den beiden Frauentagen widmete sich das SWR-Nachtcafe der sozialen Realität von Behinderten. Da ließ just eine Frau aufhorchen! Kirsten Bruhn kennt das Leben mit und ohne Rollstuhl und war erfolgreiche Behinderten-Sportlerin. Und sie weiß, wie die Gesellschaft mit Behinderten kommuniziert: Gesprochen wird auf Ohrenhöhe der stehenden Nichtbehinderten! Und wie wird worüber gesprochen? Der Rollstuhl, der dem Behinderten die Fortbewegung erst ermöglicht, ist für ihn ein „Glücksfall“ – wird aber mit negativen Begriffen belegt: „angewiesen darauf“ ist noch neutral, zur Benutzung „verurteilt“, an den Rollstuhl „gebunden“. . .

Über Inklusion diskutierte Michael Steinbrecher am Freitag im SWR-Nachtcafe in hochkarätiger Runde selbst mit Kultusminister Andreas Stoch. Anlass dafür war nicht der Welttag der Menschen mit Behinderung, denn der wäre schon am 3. Dezember letzten Jahres gewesen. Aber Anlässe sind für solche Diskussionen natürlich naheliegend. Aber der 6. März war der Weltgebetstag der Frauen. Über Frauen redete der Deutsche Bundestag zwar just an diesem Tag ausgiebig, meinte aber mehr den Weltfrauentag, der am Sonntag, 8.März, erst zu feiern gewesen wäre. Spätestens damit wird es spannend: Woher kommen die ganzen Welttage und wer muss sie feiern? Oder: Wer hätte lernen müssen, sie entsprechend zu feiern?

Ich erinnere mich an jenen Tag, als meine ganzen Geschichtskenntnisse in der Tageszeitungs-Redaktion über den Haufen geworfen wurden! Da brachte Frau Doktor als Repräsentantin der akademischen Mitte einen Ankündigungstext, wonach sich die Frauen-Union ihrer Partei just am 8. März mit dem politischen Selbstverständnis ihres Gender-Parts auseinandersetzen würde. Ich glaubte an eine Terminverwechslung, zumal unsere evangelikalen Mitarbeiterinnen alle schon ihren Ankündigungstext für den Weltgebetstag der Frauen abgeliefert hatten und mit leicht feuchten Augen darum gebeten hatten, genau diesen ja gutplatziert zu veröffentlichen. Also zwei Frauentage im Kalender? Meine Spurensuche begann.

Der Weltgebetstag ist der Ältere! 1897 hat ihn die US-amerikanische Inlandsmission aus der Taufe gehoben. Kanada und die Auslandsmission kamen hinzu. 1927 war er erstmals weltweit ökumenisch angesetzt. In Singen und Umgebung wurde er geschichtlich bedingt eher aus dem evangelisch-freikirchlichen Bereich wahrgenommen, mit der pietistischen Anknüpfung stark im Süden der Stadt. Und die Ökumene? Erst 1970 hatten sich die römisch-katholischen Frauen in Deutschland dem Weltgebetstag angeschlossen. In der Zeit erlebte ich auch meinen ersten ökumenischen Gottesdienst in der Singener Lutherkirche. Es war vieles spontan organisiert. Dazu gehörte auch, dass wir im Kirchenchor gesungen haben. Es war alles sehr feierlich und hinterher gab es feuchte Augen. Vorne saßen katholische Ordensschwestern in der Bank. Als diese vom herrlichen Gottesdienst schwärmten, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr.

Begeisternde Ökumene? Die DDR hatte den anderen Frauentag. Doch 1977 gestalteten Frauen aus der DDR die Liturgie des Weltgebetstags der Frauen! Es geschehen eben noch Zeichen und Wunder! Zurück zum Weltfrauentag: Er geht auf die Initiative der Sozialistin Clara Zetkin aus dem Jahr 1910 in Amsterdam zurück. Das drängende Problem war das Frauenwahlrecht. Da wurde bald viel bewegt – und nicht jedes Land war wie die Eidgenossenschaft! Und heute reden wir über die Frauenquote in Aufsichtsräten. Und was sagen die Schweizer zu den Bundestagsbeschlüssen vom letzten Freitag? Oder jene Scheichs, die der deutsche Vizekanzler letzte Woche besuchte? Kurzum: Der Weltfrauentag roch nach Sozialismus, ein Geisteskind der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Das war die große erste Runde der Gleichberechtigung der Frauen auf dieser Welt.

Eine ungebremste Entwicklung war der Frauenbewegung in Deutschland nicht vergönnt. Das Dritte Reich verbot solche Tendenzen, setzte wiederum an amerikanischen Traditionen an und „kultivierte“ den deutschen Muttertag. Gut, den haben wir 2015 noch vor uns – in demokratisierter Form. In der gesamtdeutschen Tradition gibt es hier manche ideologische Brüche. In der DDR lebte Clara Zetkin lebendiger denn je nach Kriegsende weiter. Im Adenauer-Deutschland hatte es die Frauenbewegung schwer: Der eine Frauentag war sozialistisch, der andere unkatholisch! Als gleichaltriges „Kind“ der Bonner Republik fällt mir beim Nachdenken vieles ein. Vielleicht hat man zuviel einfach hingenommen; das Auseinanderdriften gesellschaftlicher Gruppen nicht genügend wahrgenommen. Vielleicht geht das aktuell so weiter: da entwickeln sich Tendenzen zu Strömungen. Von Islamismus bis Pediga reichen plötzlich die Schlagworte; unbeachtete Entwicklungen in unserer durchorganisierten digitalisierten Welt?!

Welttage, Gedenktage, Schubladen voller Wissen – dennoch kein Bestandteil der Allgemeinbildung? Zurück zur Inklusion: Wie integrieren wir wen in unsere Gesellschaft? „Unsere Gesellschaft“ heißt jetzt ja auch aus dem Munde unserer Kanzlerin „Zivilgesellschaft“. Der Begriff passt in die Tatsache der Existenz zweier Weltfrauentage. Die einen haben ihren Tag so, die anderen eben anders. Die eine Gesellschaft für alle, die ist eben bisweilen auch ideologisch nicht mehr unumstritten. Das ist wie mit der einen Welt: Macht und Kapital sind ungleich verteilt. Und die ökologische Verantwortung? Die Folgen der Umweltschäden müssen wir alle ertragen. Da steuert keine Quote die Verantwortlichkeit, obwohl es dafür auch Tage gibt . . .

Einfach zum Nachdenken!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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