Genossenschaftlicher Blick auf das Singener Kunsthallen-Areal
Emil Srägas Pioniergeist löste Probleme

Die Wohnungsbaupolitik steht nicht nur in Singen vor einer enormen Neuorientierung. Die einen stöhnen, Wohnraum müsse auch bezahlbar sein. Die anderen klagen, das setze voraus, dass es ihn überhaupt gebe. Studenten sind wie soziale Randgruppen in Not. In Singen steht zudem nach dem Freitod von GVV-Geschäftsführer Roland Grundler ein dringendes Umdenken an. Umso wichtiger ist ein Blick auf die genossenschaftlichen Wohnungsbaugenossenschaften, die das Wachstum in Singen nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben. Bereits während des OB-Wahlkampfes gab es Hinweise, dass sich vor allem die Baugenossenschaft Hegau neuerlichen Wohnungsbau als Lösung vieler Probleme im Kunsthallenareal vorstellen könne. Eine Stadt wie Singen müsse nicht bei allen Zukunftsaufgaben auf die GVV als hundertprozentige Tochter setzen. Welche gesellschaftliche Kraft aus dem Genossenschaftswesen erwächst, wurde im letzten Jahr deutlich, als die Hegau-Baugenossenschaft ihr 60jähriges Bestehen mit einem kleinen Festakt zur Eröffnung eines Rückblicks in Bildern feierte. An diesem Abend wurde einmal mehr das Lebenswerk von Emil Sräga deutlich, nach dem die Senioren-Wohnanlage an der Konstanzer Straße benannt ist. Hier einige Schlaglichter zur Erinnerung:

Heimatvertriebene drängten nach dem Zweiten Weltkrieg in den deutschen Süden. Zwei von ihnen wurde zu den Gründungsvätern der Baugenossenschaft Hegau: Der in Nordböhmen geborene Neu-Singener Emil Sräga und der aus dem Osten Vertriebene Neu-Stockacher Reinhardt Ruhnke. Sie wussten um die Wohnungsnot ihrer Schicksalskollegen und nahmen „Hilfe zur Selbsthilfe“ ernst. Sie packten die Probleme an. Bis zur Genossenschaftsgründung dauerte es allerdings noch bis zum 14. Dezember 1952 im Singener "Scheffelhof", damals ein Treffpunkt gleich gegenüber dem Bahnhof. Sräga wurde Vorsitzender, Ruhnke übernahm den Aufsichtsrat. 1956 wechselten sie die Ämter, eine Erfolgsgeschichte begann. Ohne Flexibilität und Wandel ging es nicht. Aus Sräga, dem Lebensmittelhändler mit der Bierniederlassung, wurde ein Häuserplaner.

Seine Ideen begeisterten seine Mitmenschen. So stand die erste Richtkrone am Singener Schnaidholz schon 1950. Sräga war am Anfang ein Fremder in der Stadt. Am neuen öffentlichen Leben nahm Sräga dennoch sogleich Anteil. Die Wohnungsnot ging auch an den Franzosen nicht vorbei: Sie brauchten Lösungen und hatten keine. Deutsche Schultern waren zur Problemlösung gesucht. Sräga ließ sich zum Wohnungsbaureferenten wählen. Er arbeitete sich in die Probleme des Wohnungsbaus ein. Am Küchentisch wurde mit Architekten geplant. Srägas wurden zum Familienbetrieb, selbst unter Einbeziehung der beiden Töchter. Baugenehmigungen waren im Landratsamt in Konstanz einzuholen. Den zeitaufwendigen Job übernahm Frau Sräga. Wenn sie nach Konstanz reiste, nahm sie ein Kind mit. Das hatte einen tieferen Sinn. Wenn es Kindern langweilig wird, fangen sie an zu heulen. Über die unterschiedlichen Wirkungsweisen von Kindergeschrei – vor allem in Diensträumen – will ich jetzt nicht philosophieren. Kurzum: Es klappte. Das Kind schrie. Der Bauantrag wurde schnell erledigt, weil alle Mitleid mit der armen Mutter hatten. Und so wuchs auch die „Hegau“.

Die ersten Bauten der neuen von Anfang an regional aufgestellten Genossenschaft entstanden in Singen in der Worblingerstraße, gleich darauf im Heidenbühl. 1954 wurden 54 Wohnungen bezogen. 1953 stieg das Investitionsvolumen von 400 000 Mark auf 2,5 Millionen Mark. Nach Engen wurde selbst der Blick auf Konstanz gerichtet. 1959 war das erste Richtfest in Stockach. Ehrenamtliche hatten eine Lawine losgetreten. Nur wenige Zahlen aus dem Geschäftsbericht 2011: 1928 Mietwohnungen mit einer Durchschnittsmiete von 4,92 Euro pro Quadratmeter, 114 Eigentümergemeinschaften sind mit 1799 Einheiten entstanden. Allein 126 Eigentümerversammlungen hielt die „Hegau“ im Jahr 2011 ab.

Seine „Hegau“ sah Sräga immer mehr als Faktor in der Stadtplanung. Die fünf Hochhäuser an der Überlinger Straße waren revolutionäres Neuland: Eine gestaltete Einheit – und auch noch Müllschlucker dazu! Das Bruderhofgebiet trug immer mehr den Stempel der Baugenossenschaft „Hegau“. 1973, das Jahr der Ölkrise und Finanzkrise, überstand die „Hegau“ mit feinem Gespür. Dann konnten Grundstücke von anderen Bauträgern übernommen werden, die die Fahne längst gestrichen hatten.

Ein wichtiges Bekenntnis zur Tradition und der Gründerzeit kam hinzu. Jetzt kamen die Spätaussiedler aufgrund der Ostverträge in die deutsche Heimat zurück. Der einstige Heimatvertriebene Emil Sräga fühlte sich gegenüber diesen Menschen verpflichtet. Dass die „Hegau“ ein damals gewaltiges Raumproblem für das Finanzamt in Singen in der Thurgauerstraße löste, machte Emil Sräga stolz. Einmal sagte er: Jetzt müssten wir nur noch für die Stadt Singen die Stadthalle bauen! Vorreiterrollen übernahm die Genossenschaft gerne in Singen. Dazu steht auch die heutige Führungsriege um Geschäftsführer Axel Nieburg. Und jetzt 2014? Pioniergeist alá Sräga ist auf jeden Fall gefragt.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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