Siegfried Lehmann hat Geschichte geschrieben
Mandatswechsel kommt in Konstanz

Siegfried Lehmann hat Geschichte geschrieben.

„Was tun?“ fragte einst Lenin. Es ist die Frage dieser Tage für Europa, Griechenland speziell und die ganze Finanzwelt. „Was tun?“ fragt sich auch der immer noch direkt gewählte Landtagsabgeordnete der Grünen, Siegfried Lehmann. Wie wird er für seine Regierungskoalition kämpfen? Als Lehrer kann er an der Hohentwiel-Gewerbeschule in Singen weiterarbeiten. Wie aber wird er mit der parteiinternen Niederlange bei der Nominierungsversammlung menschlich fertig werden? Natürlich bekommt man Mandate auf Zeit verliehen und/oder geschenkt. Wechsel im Amt gehörten gerade bei den Grünen zum Fundament der Anfangszeit. Aber es wirkt merkwürdig, wenn dieses Dogma plötzlich die Urväter selbst trifft. Lehmann hat Geschichte geschrieben, als er bei der letzten Landtagswahl das Direktmandat im alten Bischofssitz Konstanz errang. Ich stand damals neben ihm auf der Terrasse der Konstanzer „Seekuh“, als die Stimmenergebnisse auf dem Bildschirm des Computers hereintröpfelten. Als noch alle bange auf das Konstanzer Ergebnis warteten, rückte die Sensation immer näher. Siegfried Lehmann blieb ruhig und gefasst; passend zum kommenden Landesvater Winfried Kretschmann – ein kluger Arbeiter im Weinberg des Herrn.

Die Botschaften des Abends waren noch irritierend: Sollte etwa die Umwelthauptstadt Radolfzell zur Bildungshauptstadt im „Ländle“ werden? Die Bildungspolitik wurde zum Knackpunkt der Grün-Roten Landesregierung, Lehmann Vorsitzender des zuständigen Landtagsausschusses. Die Kultusministerin musste bald gehen, beim Nachfolger Andreas Stoch lief es auch nicht ganz rund, bis der Radolfzeller OB Dr. Jörg Schmid ins Ministerium berufen wurde! Lehmann und Dr. Schmid ziehen an einem Strang? Dann hätte der OB ja gleich in Radolfzell bleiben können! Und mit Nachfolger Staab hat Lehmann auch schon seinen Ärger. Siegfried Lehmann ist wahrlich ein Arbeiter im Weingarten des Herrn, ein Mann, der seine Mandate überaus ernst nimmt – gleichgültig im Stadtparlament, als OB-Stallvertreter, im Kreistag oder im Landtag. Zweimal hatte er in Radolfzell als OB kandidiert, zumindest Achtungserfolge erzielt. 1992 gab er zum Abschluss des ersten Wahlgangs Amtsinhaber Günter Neurohr die Hand. Das Bild im Wochenblatt hatte Signalwirkung für den weiteren Ausgang: grüne Stimmen wanderten zu Neurohr. Lehmanns Geste stand für seinen Stil. Ich habe mich später geärgert, als ich auf dem Höhepunkt des Krankenhaus-Skandals Neurohrs Rücktritt auf dem Titel forderte.

Zurück zu Lehmann: mir geht es bei diesem Stichwort immer wieder um Respekt und Achtung. An Siegfried Lehmann scheiden sich oft die Geister. Er ist nie bequem, angepasst oder gar glattgebügelt! Er gehört keinem Gremium an, um abzunicken und zu schweigen. Das hat mich gerade im Kreistag oft genervt. Wenn es acht Tagesordnungspunkte gab, dann notierte ich oft neun Wortmeldungen von Lehmann! Ein Kommentar der Fraktionsvorsitzenden war ihm nie genug, bisweilen war er auch der vierte Grüne! Ohne Aussicht auf eine Mehrheit warf er sich in jede Debatte, missachtete Rituale des Hauses: Nach den Fraktionsvorsitzenden Artur Ostermaier und Franz Moser war die Abstimmungsroute festgelegt!

Und im Radolfzeller Gemeinderat? Die Klagen vieler Kollegen kannte ich zur Genüge, bis ich hier zu meiner beruflichen Schlussrunde Einzug hielt. Gravierende Themenschwerpunkte wurden strittig diskutiert. Das intellektuelle Niveau beeindruckte mich oft. Es wurde lange und intensiv diskutiert, oft wurde ich an die Möhrle-Ära in Singen erinnert. Hier gab es noch Debatten-Redner: Und mittendrin meist Siegfried Lehmann. Dr. Jörg Schmid litt oft unter dessen Streitbarkeit. Oft reichte ein Stichwort und die Generaldebatte war eröffnet. Umgekehrt begann so die Kampagne zu Lehmanns Abwahl: Der unter Naturschutz stehende rote Milan sei häufiger als der grüne Lehmann im Wahlkreis zu sehen. Mit Inhalten hatte dies nichts zu tun. Aber natürlich hat die Presse Macht! Als CDU-Bundestagsabgeordneter Hermann Biechele 1979 abgewählt wurde, berichtete die gleiche Tageszeitung am nächsten Morgen auf dem Titel, der CDU-Kreisvorstand habe sich hinter Biechele und damit gegen Hans-Peter Repnik gestellt. Unterschlagen wurde, dass die Ortsvorsitzenden, die sich zuvor bei der gleichen Sitzung für den neuen Kandidaten ausgesprochen hatten, bei der Abstimmung nicht mehr gefragt waren. Der Schuß ging bekanntlich dann nach hinten los!

Nicht ungewöhnlich ist es, dass vor Nominierungen neue Mitglieder geworben werden. Der Regionalproporz spielt immer eine große Rolle. Und jetzt plötzlich hatte das große Konstanz keinen Abgeordneten mehr. Die 31jährige Nese Erikli könnte das ändern. Gleichzeitig kann alles durcheinander gewirbelt werden, da Europaminister Peter Friedrich für die SPD seinen Hut in den Ring geworfen hat. Liegt da aber auch noch ein „grüner Bruch“ von Siegfried Lehmann? Ich erinnere mich an 1998, als ich Dr. Wolfgang Schäuble kurz nach Kohls Entscheidung, erneut als Kanzler zu kandidieren, bei der internationalen Bodensee-Tagung Christlich-Demokratischer-Politiker in Ludwigshafen interviewte. Er werde sich weiter als Parteisoldat in die Pflicht nehmen lassen, erklärte er mir mit einem tiefen Blick in die Augen. Ob das Lehmann auch so erwägt? Schließlich wollte er alles für Grün-Rot tun! Bei Reizthemen warf sich Lehmann in die Kampfzonen: B33, Krankenhaus, Bahn und ÖPNV. Jetzt war sein Netzwerk aber offensichtlich nicht dicht genug.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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