Michael Simons Perspektiven beim Politischen Aschermittwoch
Printmedien nicht selber totreden!

Wenn es um Ethik und Moral geht, geht es beim Politischen Aschermittwoch natürlich auch um die eigene Zukunft der Medien. Da schwebte plötzlich der Pioniergeisst von Hans-Joachim Frese über den Köpfen. Die Printmedien solle man nicht selber totreden, mahnte Podiumsteilnehmer Michael Simon, Kopf des Münchner Wochenanzeigers und Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Anzeigenblätter (BVDA). Das ganze Gerede um Quoten und Reichweiten fegte er vom Tisch: Er erreiche mit seinen Anzeigenblättern rund 1,5 Millionen Leser! Früher habe es in Deutschland zwei Fernsehsender gegeben, heute seien es im Münchner Raum 600! Wenn früher der Durbridge-Krimi am Samstag gelaufen sei, hätten alle am Montag im Betrieb darüber geredet. Das sei heute bei der Medien-Stückelung nicht mehr möglich. Genau das aber hätte den Erfolg der Fußball-WM ausgemacht: Da hätte ein Publikum wieder einmal über das gleiche Gesehene miteinander sprechen können!

Wie stark sind die Medien heute noch als vielzitierte „vierte Gewalt im Staat“? Für die Konstanzer Politologie-Professorin Dr. Nathalie Behnke war das kein Problem: In Deutschland und Europa habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg eine stabile Demokratie entwickelt, die sich im Zusammenspiel mit den Medien krisenfest zeige. Die Spiegel-Affäre zu Beginn der 60er Jahre sei durch die Kraft der Presseorgane ein Konflikt mit reinigender Wirkung gewesen. Und wie ist es heute beim NSU-Skandal? Die Medien sorgten für größtmögliche Transparenz. Eine Stunde später starte ich den letzten Versuch, den Glauben an die Selbstreinigungskräfte unserer Gesellschaft zu erschüttern: Was passiert heute, wenn unser System an seine Grenzen stößt? Es sind die Themen, die uns im Singener Wochenblatt bewegt haben: Der Konstanzer Romanistik-Professor Dr. Hans-Robert Jauß gehörte der SS an und wurde sogar als Kriegsverbrecher verurteilt. Dennoch konnte er 1948 in Heidelberg studieren. Doktorvater von Jauß war dort der spätere Konstanzer Gründungsrektor Gerhard Hess gewesen. Die Verstrickungen von Jauß in das Nazi-Regime hatte Earl Jeffrey Richards bereits 1995 aufgedeckt. Dem Singener Autor Gerd Zahner war es jetzt aber vorbehalten, die Probleme der Vergangenheitsbewältigung einer größeren Öffentlichkeit außerhalb einer akademischen Diskussion kund zu tun.

Oder jetzt RAF-Terroristin Verena Becker: Hat der deutsche Geheimdienst ihre Vita in den Prozessunterlagen gefälscht, um die Mittäterschaft der Doppelagentin zu reduzieren? Und lokal: Wie konnte die GVV so an die Wand gefahren werden? Für Dr. Nathalie Behnke war wieder klar, dass die „vierte Gewalt“ in unserem Staat funktioniert. Die Maßstäbe von Ethik und Moral haben funktioniert. Im Fall Professor Jauß lässt sie keinen Zweifel aufkommen, dass sich jeder seiner eigenen Vergangenheit stellen muss. Wenn sich an unseren Werten etwas in den letzten Jahren geändert hat, dann sieht sie das positiv! Eine offene Gesellschaft findet schlechthin ihre neue Identität.

Gesellschaftliche Veränderungen verlangen eben auch neue konzertierte Aktionen der Betroffenen. Der Internet-Handel beschäftigt Michael Simon auch im Anzeigenblatt-Bereich. Mit neuen Aktionen will er das Bewusstsein verändern. Seine These ist: „Der Handel muss sich zum Igel machen.“ Ja, das war die Geschichte vom ungleichen Wettkampf, der dann doch noch einen überraschenden Ausgang nahm. Gemeinsames Nachdenken und Handeln kann helfen. Und dann ist sie wieder da, die These, global zu denken, aber lokal einzukaufen. Damit startete die Randegger Ottilienquelle in die neue unternehmerische Erfolgspur. Simons Slogan heißt „Wir kaufen lokal“. Und plötzlich geht es auch um die Zukunft lokaler Medien, wobei er einen kleinen Umweg macht: Wer im örtlichen Handel einkauft, fördert damit auch seinen Sportverein!

Dazu gehört dann auch mein Einwurf: Böses über die Kanzlerin zu schreiben, fällt leicht. Nach einem bissigen Kommentar über die letzte Generalversammlung hat der Lokalredakteur den ganzen Verein in seinem Bureau. Konkreter: Wir müssen mit den Opfern unserer Berichte weiterleben! Das macht natürlich auch die Freude am Journalistenberuf aus. Und davon war bei der Begegnung mit Michael Simon beiderseits eine Menge zu spüren. Zudem war der Pioniergeist von Hans-Joachim Frese gegenwärtig. Der hatte 1967 nicht nur das Singener Wochenblatt gegründet sondern dem Verband der Anzeigenblattverlage Kontur verliehen, dem er zeitweise sogar präsidierte. Michael Simon kannte Frese aus seinen Anfangstagen in München und schätzte dessen Esprit. Hier in der Singener Scheffelhalle spürte Simon gleich beim Betreten Freses Geist! Unser Dialog entwickelte sich glänzend. Mit dem Aschermittwoch kann ein waschechter Bajaware natürlich eine Menge anfangen. Dass aber statt der Strauss-Enkel ein Anzeigenblatt dieses veranstaltet, hatte den Münchner Zeitungsmacher schon überrascht. Der Einladung von Peter Peschka folgte er dennoch. Und dann noch über dieses Thema mit Ethik und Moral! Und dann noch ein volles Haus inmitten dieses Ambientes! Poppeles Geist kennt Simon nicht. Aber zu Freses Pioniergeist passte es allemal.

Der 5. Politische Aschermittwoch war damit gelaufen. Es wurde eine muntere Runde in der Scheffelhalle, die mit einem gemeinsamen Fastenessen in der „Singener Weinstube“ abgeschlossen wurde. Unglaublich: Die Podiumsteilnehmer machten weiter! Bei Ethik und Moral ging es zeitweise gar theologisch zu, ökumenisch auf jeden Fall. Das Thema des Aschermittwochs hatte den Puls der Zeit getroffen.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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