Anmerkungen zum Start des neuen Konstanzer Kreistags
Sind wir ein Volk von „Sorgen“-Kindern?

Verstehen wir wirklich noch, was alles auf unserer Welt geschieht? Es ist vieles so relativ. Als die Winterolympiade in Russland stattfand, haben viele Beobachter die Augen vor der politischen Realität verschlossen. Und seither twittert uns Putin einen! Plötzlich geht in Westeuropa die Sorge um. Wir sorgen uns um die Ukraine, den Krieg, die Menschenrechte, und die Freiheit im Netz. Schlage ich zum Frühstück die Tageszeitung auf, lese ich auf der Doppelseite gleich zweimal in der Überschrift von Sorgen. Und am Tag darauf das gleiche Thema auf dem Titel: Sind wir wirklich ein Volk von „Sorgen“-kindern? Es ist soweit, dass der Sack Reis, der in China umfällt, unser ganzes Sozialsystem zusammenbrechen lässt? Zumindest uns in tiefe Depression stürzt.

Haben wir ein Sorgen-Gen in uns, das gerne von den Medien in Betrieb genommen wird? Es wird auf jeden Fall gerne bedient. Und der Erfolg? Ja, uns geht es doch bei allem noch gut! Wie schlimm ist es draußen in der Welt! Plötzlich bekomme ich das Sorgenfalten auf meiner Stirn: Wie steht es dann wirklich um unsere direkte Umwelt? Die Politik in der Region und ihre Auswirkungen für das Alltagsleben? Dann muss ich lesen, dass der Rettungsdienst rechtzeitig innerhalb von 15 Minuten ankommt. Komisch: Bei mir daheim hat es immer etwas länger gedauert! Das zwingt mich wieder, Fakten und Behauptungen zu hinterfragen.

Letzte Woche startete der neue Konstanzer Kreistag seine Amtsperiode. Sorgen um die Finanzlage muss man sich angeblich nicht (mehr) machen. Aber wie geht es um Gesundheitsverbund weiter und beim Gleichgewicht der Zentren im Kreis Konstanz? Keine Sorge, das wurde ja alles einvernehmlich zwischen den Fraktionen gehandhabt. Nur Marion Czajor hat den Frieden einen Augenblick gestört, als sie darauf verwies, dass die Fraktionen des Kreistags keinen einzigen Singener jetzt in den Aufsichtsrat entsenden! Dann hat sie durch das Verlassen des Sitzungssaals die Einstimmigkeit der Entscheidung ermöglicht.

Friede, Freude, Eierkuchen? Es ist offenbar alles in Butter, wenn fünf der neun Aufsichtsratsmitglieder aus Konstanz (mit Allensbach) kommen! Und die Rathauschefs aller Standorte des Gesundheitsverbundes sitzen im Aufsichtsrat. Hat man nicht immer wieder kritisiert, dass die Bürgermeister sich selbst im Kreistag kontrollieren? Nein, nur etwa die Beamten, die sie kontrollieren sollen? Aber jetzt kontrollieren sie auch noch die GmbH! Dass Neu-Kreisrat Martin Staab in den Aufsichtsrat entsendet wird, wird als „Morgengabe“ dafür gehandelt, dass der Radolfzeller OB für die Freien Wähler kandidiert hat. Sein Vorgänger Dr. Jörg Schmidt hatte auf das Stimmrecht verzichtet. Aber seit die CDU-Fraktion entgegen den Zusagen Ex-Kreisrat Dr. Michael van der Goten durch Johannes Baron von Bodman ersetzt hatte, war Radolfzell ohne stimmberechtigtes Aufsichtsratsmitglied, was die lokale Wetterlage veränderte. Fazit: Mit allen Absprachen stellen die Freien Wähler jetzt drei der neun Kreis-Aufsichtsräte. Bei der Abstimmung in der Fraktion war der Singener Dr. Hubertus Both mit nur sechs Stimmen unterlegen.

Aber wie ist das mit dem Kirchturmsdenken? Nach dem GmbH-Recht sind die Aufsichtsräte allein dem Wohl ihres Unternehmens verpflichtet. In der Vorlage an den Kreistag stand zur potentiellen Verschiebung der Einflüsse im Aufsichtsrat: „In einem von der Stadt Singen im Jahr 2011 in Auftrag gegebenen Gutachten zur kartellrechtlichen Zulässigkeit des Gesundheitsverbundes hat die Rechtsanwaltsgesellschaft Luther ausgeführt, dass selbst geringfügige Änderungen des Modells ein fusionskontrollrechtliches Genehmigungserfordernis auslösen können. Das wäre etwa der Fall, wenn HBH/ Fördergesellschaft wie Spitalstiftung Konstanz 25 % oder mehr Anteils- oder Stimmrechte erhielten. Daraus folgt, dass der Landkreis darauf achten muss, dass die zur Ausübung seiner Mehrheitsrechte verfügbaren Stimmen nicht an Vertreter der Minderheitsgesellschafter übertragen werden.“ Aber wie ist das, wenn jetzt ein Konstanzer Gemeinderat plötzlich Kreis-Aufsichtsrat wird?

Ist nun Aufsichtsräten doch das Hemd näher als der Rock? Der Klinik-Verbund steht vor gravierenden Veränderungen. Heulen und Zähneklappern ist schon aus Konstanz zu hören, wenn bei der Kantine oder gar der ganzen Verpflegung „Outsourcing“ betrieben werden könnte, was Arbeitsplätze kosten könnte. Singen hat schon den Verlust der Krankenhausapotheke hinnehmen müssen. Und wie war das im Bereich der Kinderklinik? Ab wann wird „die Straße“ mobilisiert? Singen hat einen Bürgerentscheid gegen die Krankenhausfusion überlebt. Die Frage nach dem politischen Klima in der Region stellt sich für die Zukunft jetzt aber neu. Der Konstanzer OB Uli Burchardt ist neuer CDU-Fraktionchef im Kreistag. Bernd Häusler sein Stellvertreter. Also stehen zwei Novizen in doppelter Verantwortung. Vor allem der Druck auf den Konstanzer OB ist enorm. Sein Vorgänger Horst Frank nahm das Mandat als Kreisrat der Grünen eher gelassen. Nur bei essentiell Konstanzer Themen verließ er sein Aktenstudium. Die Themenflut seiner Kollegen ertrug er mit Gelassenheit. Das wird bei Burchardt anders sein. Der Kreistag droht zum Forum Konstanzer Stadtpolitik zu werden. Andererseits wird FW-Fraktionschef Artur Ostermaier noch stärker in einer Funktion als Hegau-Vertreter werden. Da war die Aufsichtsratsentscheidung ein Vorgeschmack.

Sorgen bereiten mir da Erinnerungen an den Abschied der Konstanzer Kreisräte Karle Maurer und Eduard Reisbeck. Der Edel-Fastnachter zog dabei vom Leder: Wie schlimm sei es gewesen, dass die Konstanzer lange Jahre nach Singen zu den Sitzungen in einer furchtbaren Schule reisen mussten! Die Straße verstopft, die Reise in die Fremde! Mir platzte auf der Pressebank fast der Kragen: Und seit 1982 musste ich mich zum Kreistag nach Konstanz durchkämpfen. Hatte doch Konstanz den Weiterbau der Autobahn entscheidend blockiert! Aber aus Konstanzer Sicht sieht die Welt anders aus. Das ist beim Krankenhaus nicht anders. Und das bereitet dann mir Sorgen! Zudem haben wir einen Konstanzer Landrat . . .

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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