Was einem Journalisten zu Weihnachtsmärkten einfällt
Traditionsbildend hinter der Theke

Was war zuerst da? Der Glühwein oder der Weihnachtsmarkt? Was würden die Glühweinhersteller ohne die Weihnachtsmarktveranstalter machen? Alles gehört eben irgendwie zusammen. Der Besuch eines Weihnachtsmarktes ist etwas Weltbewegendes geworden. Profane Gedanken beschleichen da einen Journalisten, der eben bei der Bewertung der wirklich wichtigen Dinge im Leben so oft daneben liegt. So hat mein journalistischer Urvater Heribert A. Baier immer von der „Hassliebe“ zwischen der Fastnacht und dem Journalisten geschrieben. Man liebt sie und dennoch wird sie zu Ballast. Wenn alle feiern, muss der Journalist arbeiten. Das ist bei Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten noch etwas komplizierter, wenn Veranstalter, Teilnehmer, Sponsoren und Interessenvertreter um journalistische Unterstützung geradezu konkurrieren und/der buhlen. Inzwischen ist eben um jeden zweiten Baum im Hegau ein Weihnachtsmarkt. Jeder hat da seine Vorlieben, wobei der eigene Kirchturm meist der nächste ist. Und jetzt hat Singen auch noch seinen eigenen Weihnachtsmarkt, von dem viele Akteure geträumt haben. Da werden Erinnerungen an viele frühere Anläufe wach. Unter der Kapuze der Weihnachtsmänner haben sich oft auch zu viele Bedenkenträger verborgen. Zudem werden Erinnerungen an witterungsmäßige Widrigkeiten wach.

Dezemberkälte ist nicht das Hauptproblem, schließlich gibt es ja Glühwein in allen möglichen Geschmacksnuancen! Ich erinnere mich an den Zeltversuch des Singener Wochenblatts in den 90er Jahren auf dem hauseigenen Parkplatzgelände. Da war die Innenstadt unter einer nimmerendenden Schneedecke versunken. Aussagekräftige Fotos gab es noch von der Auftaktveranstaltung, dann fing auch die Heizungsanlage an, sich der Tristesse anzupassen. Wir haben durchgehalten und das vorbereitete vorweihnachtliche Programm mit kulturellen Akzenten durchgezogen. Großartig war, wie St. Pirmin die Holzhäuser für die City-Ring-Geschäfte gebaut hat. Das Problem war immer das Durchhalten über die Adventstage hinweg. Da ging es auch den Thüringer Rostbratwurst-Anbietern mit ihren heimatlichen Nußknackern auch nicht besser.

Umso mutiger ist der neuerliche Anlauf, eine vorweihnachtliche Attraktion in Singen einzubürgern. Mich erinnert vieles an uralte Stadtfest-Diskussionen zwischen Singen und Radolfzell. Unvergessen ist Heinz Läufer, Singener Schuhhändler und Radolfzeller Heimatgefühl, der das Radolfzeller Altstadtfest gerne als „mögig“ bezeichnete und damit Kritik an der Hohentwiel-Metropole übte. In den 80er Jahren (bereits) wurde in Singen zu viel Schwergewicht auf Essen und Trinken moniert. Ich habe damals kommentiert, wenn das Tausenden beim Stadtfest gefalle, dann sei das einfach wichtig und richtig! So sind sie, die merkwürdigen Selbstzweifel bei eigenen Traditionen. Wenn etwas schief oder garnicht läuft, muss man reagieren. Doch manchmal müssen Kritiker sich einfach selbst beweisen. Und wieder haben die Journalisten das Problem, sich „marktgerecht“ einzuordnen.

„Mögig“? Kundennah und kommunikationsintensiv, dafür steht auch der Radolfzeller Christkindelmarkt bis heute. Spürbar ist das bürgerschaftliche Engagement durch die Aktionsgemeinschaft und den örtlichen Einzelhandel. Natürlich gibt es auch klassische Marktbeschicker, doch der heimische Kaufmann hinter der Theke mag zwar für manche ein Auslaufmodell sein, traditionsbildend ist er bei heimischen Festen allemal. Da kommen dann Erinnerungen an das klassische Singener Stadtfest des City-Rings mit Ochs am Spieß zum Start. Der eigentliche Umbruch und Einbruch kam in den 80er Jahren bereits, als der Coca-Cola-Truck die August-Rufstraße verlärmte. Mit Günther Schneckenburger, dem langjährigen Sprecher und Stadtfest-Organisator, ging ich am Freitagnachmittag über den Markt mit dem Ziel „Alte Sparkasse“. Dort hatte Heinz Kornmayer zur Modenschau geladen. Das war großartig, doch der Hauptbetrieb lief draußen an den Sauf-und Fressständen! Wessen Engagement wurde hier für wen honoriert?

Weizenbier und/oder Glühwein? Die Festfreude geht eben durch den Magen. Aber Tradition ist noch einmal eine andere Dimension. Gebratene Felchen vom Radolfzeller Lions-Stand sind halt ein Magnet. Ehrenamtliche stehen hinter vielen Ständen, die Organisatoren der Aktionsgemeinschaft selbstredend. Man weiß, wo man wen findet. „Man“ trifft sich und plaudert. „Schneegestöber“ bringt zudem gesicherte Gewinne. „Mögig“ ist alles allemal.

Und dann kommt sie trotzdem wieder, die weltbewegende Frage: Rote oder Weiße? Natürlich Wurst! Grüppchen gehen auf die Suche nach dem optimalen Stand für alle Geschmäcker: Hat der Stand dahinten nicht die besseren Wecken zur Wurst? Die Kundschaft ist anspruchsvoll. Dabei muss ja niemand einen Glühwein trinken, wenn ihm dieser zu teuer wäre. Und in der Kälte muss es auch kein Bier sein. Das ist doch das Tolle an den Weihnachtsmärkten: Es kostet keinen Eintritt und keiner wird zur Teilnahme gezwungen. Es ist doch alles „just for fun!“ Doch nicht ganz: Die einen tun es für das Image ihrer Stadt, andere für den eigenen Geldbeutel. Wen Letzteres stört, kann selbst aktiv werden. Einfach zum Nachdenken!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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