Jahresende mit Blick auf Ethik und Moral am Aschermittwoch
Warum soll ich welche Dinge weltbewegend finden?

Eines ist Weihnachten immer: Weltbewegend! Und zum Jahresende zieht jeder für sich Bilanz, was für ihn wirklich weltbewegend war. Vieles relativiert sich in der Rückschau. Oder hat etwa die Kommunalwahl dieses Jahr wirklich etwas geändert? Manchmal ändern sich nur die Töne im Umgang. Im Ländle wird man sich an die Harmonien von „Peter und der Wolf“ gewöhnen müssen. Wieland Backes hat es zu seinem Abschied letzten Freitag Ministerpräsident Winfried Kretschmann präsentiert. Aber wer kennt heute noch Sergej Prokofjew? Peinliches Schweigen in der Promi-Runde. Das gibt es auch zum Wort des Jahres, denn die Symbolik der „Lichtergrenze“ erschließt sich dem Zeitgenossen aus der Provinz nur schleppend. Vieles, was weltbewegend empfunden werden könnte, gerät schnell wieder in Vergessenheit. Dem Deutschen ist eben das Hemd näher als der Rock! Bei uns macht sich ein Individualismus breit, der die Ausmaße einer gesellschaftsprägenden Kraft einnimmt. Man ist eben bekennender Nichtwähler! Wenn aber Asylbewerber in mein Nachbarhaus einziehen, dann gehe ich auf die Straße! Dann bin ich endlich wieder wichtig, denn da reden Politiker über mich: Selbst wenn ich nur der 10 000. Lemming bin!

Wo gestalten wir unsere Welt und wie weit nehmen wir einfach nur alles hin? Mich hat die Vorbereitung des nächsten Politischen Aschermittwochs des Singener Wochenblatts noch einen Schuss mehr sensibilisiert. Über Moral und Ethik und den Wertewandel in unserer Gesellschaft reden zu wollen, ist eine Entscheidung, die über sich hinaus weist und mehr in Bewegung setzt, als auch ich angenommen habe. Da wird plötzlich ein überhaupt nicht greifbarer Prozess in Gang gesetzt. Da beginnt ein innerliches Zittern erst um die Zusammensetzung des Podiums, dann das thematische Abklopfen, bis die Schwerpunkte absehbar sind und die ankündigenden Interviews stehen. Und dann, und dann, und dann die Frage, wie das Publikum reagieren wird. Fangen wir hinten an: Mehr als die Hälfte der Plätze in der Scheffelhalle sind bereits belegt! Was für eine Nachfrage! Offenbar stimmen die Themen, greifen das auf, was die Menschen im Wochenblatt-Land bewegt. Die Politologin, der Arzt, der Pfarrer: Sie machen sich über den Alltag hinaus Gedanken über unsere Welt, reflektieren unser Verhalten. Ich bin fasziniert, denn ich stelle Fragen, deren kompetente Antworten darauf mich faszinieren. Da beginnt eine neue Qualität des Dialogs.

Ich hinterfrage mehr Dinge im Alltag, rege mich mehr über Nachrichten im Fernsehen oder über Schlagzeilen in der Tageszeitung auf, weil ich das Gefühl habe, manipuliert zu werden! Warum soll ich welche Dinge weltbewegend finden? Die alte Frage kommt fast täglich hoch: Cui bono! Wem nützt es? Kritische Fragen kannten schon die Römer – und die Logik hatte ihre festen Säulen im alten Griechenland. Warum aber hinterfragen wir so viele Dinge heute nicht? Wer hat denn diese „political correctness“ uns so vielschichtig zur Doktrin gemacht? Ein Blick bei Wikipedia ist hilfreich – oder auch nicht, denn hier wird die Herkunft und der Gebrauch in Amerika bis zur Unkenntlichkeit durchkonjugiert. Gerne gebraucht habe ihn die „undogmatische Linke“, hat sich mir eingeprägt, denn das passt eben auch in die deutsche Übernahme. Da wird so vieles definiert, was man einfach nicht tut! So etwas wie intellektuelle k.o.-Tropfen! Rundum war Antidiskriminierung Trumpf , wenn es um Rassismus, andere politische Ideologien, Geschlechterrollen, andere Religionen, Flüchtlinge oder Asylbewerber ging. Sprachlich wurde eine Menge verändert, schließlich musste alles korrekt sein. Deshalb gab es keine Negerküsse mehr, keine Amerikaner beim Bäcker. Selbst in der Bibel gab es nur noch Brüder und Schwestern bei der Lesung. Mein Widerstand gegen neue Sprachregelungen wurde dann militant, als Scientology den Ethik-Officer propagierte!

Sprache verändert das Denken! Und daran lasse ich keinen ran! Wohin eine Umerziehung da führen kann, haben wir in Deutschland im braunen Zeitalter erlebt. Diese Aussage ist eben schon nicht politisch korrekt, denn ich weiß nur davon; erlebt habe ich das zum Glück nicht! Was ist heute weltbewegend? Wenn wir gemeinsam verhindern, dass sich Hooligans zum Retter des Abendlandes aufschwingen, es zumindest versuchen. Wenn wir nicht hinnehmen, dass Sachsen gegen Überfremdung demonstrieren, wo es bei ihnen kaum Ausländer gibt! Wenn wir einfach aufschreien, wenn frisierte Statistiken uns glauben machen wollen, dass in unserer Gesellschaft in Wirklichkeit alles in Ordnung ist. Da wird tagelang um die Abschaffung der „kalten Progression“ gerungen, um dann zu behaupten, die gäbe es gar nicht! Hoch lebe das kollektive Vergessen! Kalt wurde mir im Konstanzer Audimax nach der neuerlichen „Antrittsvorlesung“ des früheren Romanistik-Professors Hans Robert Jauss in der politisch durchaus korrekten Aufarbeitung von Gerhard Zahner, weil gestandene Akademiker den einstigen SS-Obersturmbankführer gesundbeten wollten. Unverständlich ist mir, warum im Zusammenhang mit der GVV-Insolvenz in Singen die letzte Verantwortung für die finanzielle Misere und die hochspekulative Swap-Finanzierung offen geblieben ist.

Es muss nicht unbedingt daran liegen, dass sich Weihnachten alle lieb haben. Das gebieten doch Ethik und Political Correctness? Lassen wir es offen. Rituale ohne Sinn sind auch an Weihnachten wenig empfehlenswert. Pfarrer Christian Link hat mich letzte Woche mit dem Schusssatz seines Interviews zum Aschermittwoch-Themas nachdenken lassen: „dass wir Menschen es gut miteinander haben“. „Achtsamkeit“ ist zu einem zentralen Wort in den letzten Wochen in unserem Vorbereitungskreis geworden. Wer sich darauf einlassen will, kann meine Anmerkungen darauf abklopfen. Aber mit Achtsamkeit hätte vieles verhindert werden können. Und ich wünsche alle ein gesegnetes Weihnachtsfest mit möglichst viel Achtsamkeit. Unser jeweils „andere“ möge es uns danken!

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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