Kritische Anmerkungen zu einem klassischen Festakt
„Weißer Ring“ sorgte für weiße Weste

Festreden sind eine Sache für sich. Es gibt sehr gute, die der Sache und der Person gerecht werden. Für Journalisten sind solche Anlässe nerventötend, wenn man einfach mehr weiß, als gut tut. In Seenähe sind solche Termine oft am Freitagvormittag, denn da kann man an das opulente Festessen noch ein erholsames Wochenende anhängen. Das gilt oft im höheren beamtlichen Rahmen, denn man gönnt sich ja sonst nichts im Stuttgarter Kessel. Durch die zahlreichen Verwaltungsreformen im Land sind solche Termine weniger geworden. Geblieben ist die Frage, von welcher Welt die Festredner da sprechen. Grundsatz ist wie bei Nachrufen am Grab: Nichts, außer es wäre Gutes! Je ferner ein Thema ist, umso risikoloser lässt es sich fabulieren! Man gibt den Journalisten den Redetext – und sei es in Kurzfassung: Dann kann eigentlich nichts schief gehen! Wer diese Rituale 40 Jahre lang überlebt, der hat zur Rente mit 63 auch noch glatt alle Mütterrenten mit verdient, denn genügend verbale Kinder sind bei den überstandenen Anlässen zur Welt gebracht worden. Tief einatmen muss man aber, wenn plötzlich die Erinnerungen wach werden: Da war doch noch was? Ja, der „Weiße Ring“: den hat doch damals Deutschlands giftigster Verbrecherjäger aller Zeiten in die Welt gesetzt – Eduard Zimmermann von „XY Ungelöst“ des ZDF. Zweimal habe ich dort aus beruflichen Gründen angeklopft, und zweimal verhallte das Geräusch. Umso wacher werde ich angesichts der zum Wechsel an der Spitze der Organisation in unserer Region gelesenen Verankerungen des Rings. Mit „Herz und Verstand“ habe der scheidende Repräsentant das Amt wahrgenommen. Er sei eine streitbare Stimme gewesen, wenn es um die Rechte von Kriminalitätsopfern in der Öffentlichkeit gegangen wäre. Ohne Hilfe des Weißen Ringes wären viele Opfer nicht in der Lage, das Verfahren vor Gericht durchzustehen. Es gebe in der Regel einen Scheck in Höhe von 150 Euro für Rechtsberatung oder für psychologische Hilfe. Und dann kommt der Hinweis, wie wichtig und anstrengend die Hilfe gerade bei sexuellen Übergriffen ist, die häufig im direkten Umfeld stattfinden. Und meine Erfahrungen? Vielleicht war ich der falsche Journalist und es waren die falschen Beteiligten, als ich vor sieben Jahren zuletzt Hilfe suchte – nicht für mich, sondern für zehn weibliche Auszubildende und junge Mitarbeiterinnen, deren angezeigten Übergriffe am einem einzigen Tag von der Staatsanwaltschaft verfahrensmäßig eingestellt wurden! Sie hatten im ganzen Verfahren keinen Beistand. Bei einer Anhörung einiger vor der zuständigen Kammer des Berufsverbandes waren zudem nur Männer anwesend. Psychische Folgen waren dokumentiert – selbst in den Einstellungsbeschlüssen der Staatsanwaltschaft festgehalten. Es war ein öffentlicher Skandal, der auch die Landespresse beschäftigte. Aber der Dialog mit dem regionalen Vertreter des „Weißen Rings“ klappte nicht. Kritik an Ermittlungsbehörden ist bei Eduard Zimmermanns Jüngern nicht unbedingt vorgesehen! So hieß es auch beim Festakt anlässlich der Amtsübergabe, je mehr die Opfer der Polizei vertrauten, umso mehr kämen sie auch zur Polizei. Das sei dann der Schlüssel zu einer besseren Sicherheitslage! Dann hatte ich wohl etwas falsch verstanden und auch falsch gemacht, als ich in meinem Fall dort Unterstützung suchte, denn hier sorgte der „Weiße Ring“ wohl eher für eine weiße Weste. Das mag dann auch naheliegend sein, wenn es um Arbeitgeber mit weißem Arbeitskittel geht. Man gestatte mir meinen Sarkasmus, aber ohne den lässt sich ein Rückblick über heiße Themen eines langen Berufslebens kaum selbst ertragen. Ich hätte es besser wissen müssen, denn Jahre zuvor ging mein Hilfsersuchen schon völlig daneben. Die Szene vergesse ich nie: Am Montagabend kurz vor Umbruchbeginn wurde ein älterer, leicht verstört wirkender Mann von der Empfangsmitarbeiterin des Singener Wochenblatts zu mir an die Bürotür begleitet. Er war im PLK Reichenau untergebracht. Er hatte zum ersten Mal Ausgang und brachte einen Aktenordner mit: Die Dokumente seines Lebens. Ich begann trotz allen Zeitdrucks, darin zu blättern und zu lesen. Der Mann war Mechaniker und oft auf Montage. Seine Ehefrau nutzte seine Abwesenheit für eine weitere Beziehung. Der Ehemann kam dahinter und drehte durch. Er kam in psychiatrische Behandlung, für körperliche Attacken musste er sich vor Gericht verantworten, die Ehe wurde geschieden. Und jetzt stand er hier vor mir. Im Beisein zweier Kollegen sagte ich dem Mann zu, dass wir uns um seinen Fall kümmern werden. Wir stellten Kontakt zum Anwalt des „Weißen Rings“ in Villingen her. Doch da kam wenig Gegenliebe herüber. Eigentlich ging es um eine Wiederaufnahme des Falls, denn die zentrale Frage war, in welchem Zustand der Ehemann damals vor Gericht erschienen war: Vollgepumpt mit Psychopharmaka! Und heute war der Anstaltsleiter zudem sein Vormund. Trauriges Ende: Bevor der anwaltliche Dialog ins Laufen gekommen war, hat der PLK-Insasse seinem Leben ein Ende bereitet. Er hatte sich unter den nahen Zug geworfen! Heute lese ich von dem Festakt im Landratsamt Konstanz – und plötzlich ist die Erinnerung wieder da. Das Leben ist manchmal etwas anders, die Wahrnehmungen sind anders. Über die angezeigten Übergriffe auf die zehn jungen Damen hatte ich mehrfach geschrieben. Einige hatten sich anschließend bei mir gemeldet. Ihre Botschaft: Sie hätten nicht mehr geglaubt, dass irgendjemand ihren Aussagen Glauben schenken würde. Dem Mann aus dem PLK habe ich auch geglaubt. Ob er das noch so wahrgenommen hat?

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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