"Sieben Todsünden" in der Lutherkirche
Der Pizzaservice liefert auch in der Klimakrise

Ein riesiger Darm umschloss die Tänzerinnen zum Thema Völlerei zum Finale der Einstündigen Performance "Todsünden reloadet durch die Gruppe "Saligia" aus Köln in der Singener Lutherkirche. | Foto: Oliver Fiedler
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  • Ein riesiger Darm umschloss die Tänzerinnen zum Thema Völlerei zum Finale der Einstündigen Performance "Todsünden reloadet durch die Gruppe "Saligia" aus Köln in der Singener Lutherkirche.
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Singen. Mit einer sehr beeindruckenden Inszenierung der "Sieben Todsünden revisited" wurde kürzlich gleich zweimal in der Singener Lutherkirche ganz besonderes Tanztheater durch die Kölner Gruppe "Saligia" des "Theater 1.000 Hertz" in Person von Elke Batholomäus, Claudia Braubach, Alice Charlotte Janezek und Christina Vayhinger inszeniert.

Es war eine Kooperation zwischen der Stadt Singen, der Singener Galerie Vayhigner wie der Lutherkirche als Aufführungsort, denn auch die Uraufführung dieses Projekts hatte schon in einer ehemaligen Kirche bei Köln stattgefunden, wie bei dem Gastspiel in Singen zu erfahren war.

Die Schilderungen der Modejournalistin Edith Rosenbaum als einer der Überlebenden des Untergangs der Titanic zogen sich in Episoden wie ein roter Faden durch diese etwa einstündige Performance an den zwei Abenden in der Lutherkirche, die in gewisser Weise schon die Dekadenz dieser Zeit deutlich machten und auch die Grenzen der Beherrschbarkeit der Welt durch die Menschen.

In recht eindrücklichen Szenen ging es dann um die tänzerische Verbildlichung von Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit, was ja als die "Todsünden" im jungen Christentum positioniert und in lateinisch zur "Saligia" zu einem Wort gestrafft wurde als eines der Übel der Menschheit. Die Gruppe stellte sich dabei aber auch die Frage, was die achte "Todsünde" gewesen sein könnte, ob mit den Todsünden nicht Taten, sondern Haltungen gemeint sind, oder auch, ob Hochmut zum Beispiel nicht allen Sünden gemeinsam ist.

Um welche Sünde es da jeweils ging in den bewegten Szenen, bei denen nicht einmal vor einem symbolischen (politischen) Mord an der Kanzel der Kirche zurückgeschreckt wurde, musste sich das Publikum aus Andeutungen erschließen, das machte es geradezu spannend, sich diese getanzten Bilder mit den Stichworten dieser Inszenierung zu erschließen.

Was bedeutet es zum Beispiel, wenn selbst im unerträglichsten Klimawandel bei 50 Grad noch eine Pizza mit viel Käse vom Lieferdienst bestellt und dafür gar noch künstliche Intelligenz genutzt wurde, um das Hirn bei der Hitze nicht mehr anstrengen zu müssen? Natürlich ist es die Trägheit, bei der das Leben trotz aller Warnsignale nicht in seinen Gewohnheiten verändert werden soll.

Die Wollust wurde im Dunkeln angedeutet, nach einer Modenschau der Konsumlust, was man auch mit dem Neid in Verbindung bringen könnte. Vorne am Altar neigte sich indes die Titanic schon zum Untergang und irgendwie schwante einem da, dass diese Katastrophe etwas mit allen Todsünden zu tun haben könnte. Oder die Befreiung davon, weil die Passagiere hier ja alles in den Tiefen des Meeres verlieren?

Die Völlerei seilt sich sozusagen als goldener Darm von der Empore der Kirche ab, umschlingt die vier Frauen vorne in der Kirche zu einem Knäuel, das sie förmlich zu erwürgen droht, gefolgt von einer bemerkenswerten Tanzszene. Die Collage wird immer neu zusammengebunden, der erhobene Zeigefinger, den man nun sicher in einer Kirche erwarten würde, bleibt aus.

Dafür gibt es reichlich Applaus vom Publikum für diesen Abend, der in der Kirche immer wieder neue Bilder wie Rätsel in den von so vielen Zitaten aus Büchern und Filmen - von Seneca bis Gudrun Ensslin, von der "Tugend des Egoismus" bis "Kapitalismus und Freiheit" platzierte - und deshalb spannend blieb bis zum Schluss.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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