"Sehen was war" und "Sehen was ist" im Singener Kunstmuseum
Regionale Kunstgeschichte sollte neu geschrieben werden

Kunstmuseum | Foto: Ein Blick ins Obergeschoss des Singener Kunstmuseum auf "Sehen was ist!". swb-Bild: of
  • Kunstmuseum
  • Foto: Ein Blick ins Obergeschoss des Singener Kunstmuseum auf "Sehen was ist!". swb-Bild: of
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Singen. Es war die erste Vernissage seit dem letzten Oktober gewesen und das auch noch unter besonderen Bedingungen, denn weil es eine Veranstaltung in geschlossenen Räumen war, mussten die Kunstinteressierten hier die 3G-Regeln erfüllen. Trotzdem kamen rund 50 Personen um die die diesjährige Sommerausstellen zu begrüßen, die auch über die Zeit des Lockdowns entstanden war, nachdem die letzten im Oktober eröffneten beiden Ausstellung leider so gut wie Besucher hatten, weil kurz darauf der Lockdown der zur Schließung zwang, und die im März schon mal vollzogene Öffnung mit Beschränkungen der "Bundesnotbremse" zum Opfer fiel.

Nun aber können hier rund 120 Bilder aus der Region und aus dem Südwesten bestaunt werden, wie Museumsleiter Christoph Bauer zur Eröffnung informierte. Die Zeiten des geschlossenen Museum hatte er im Magazin verbracht und dabei auch manch interessante Entdeckung gemacht. Rund ein Drittel der hier nun ausgestellten Bilder sei noch nie hier gezeigt worden, sagte Kulturamtsleiterin Catharina Scheufele, die die Ausstellung eröffnet, das zeige auch, was man aus den Archiv alles herausholen könne.

Christoph Bauer ist im Magazin allerdings auch an eine Klippe gestoßen, nämlich wie man mit den Künstlern in der Zeit des Nationalsozialismus umgehen solle. Die Kunstgeschichte habe sich hier auf die "Entarteten" konzentriert, aber aus seinem Blickwinkel seien die Höri-Maler, die gerade für die Region die öffentlich gemachte Kunst dieser Zeit repräsentiert, nicht die einzige Kunstgeschichte dieser Zeit. Doch auch die systemtreuen oder "neutralen" Maler hätten zur Kunstgeschichte dieser Zeit mit beigetragen, denn längst nicht alle dieser seien auf die damaligen "Blut & Boden"-Stilvorgaben des Regimes eingegangen. Deshalb führt die Ausstellung zum Beispiel Bilder von Hugo Böschenstein mit der Frage, wie man mit solcher Kunst umgeht, die damals die Region durch eine touristische Lupe sah. Auch ein Bild von Walter Baentig (Tänzerin) zeigt die Ausstellung. Er war damals nahe am Expressionismus der 20er Jahre, fungierte während der Nazi-Diktatur als Fluchthelfer, wurde aber offenbar doch vergessen, weil alles sich auf die Höri-Maler konzentrierte. Weitere Bilder von William Straube oder Bernhard Schneider-Blumberg können auf diesem Wege das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

Doch das ist nur ein von vielen Seiten dieser Ausstellung, mit der das Kunstmuseum Position bezieht. Curth Georg Becker, der große Singener Maler, wird im Erdgeschoss mit einer starken Auswahl gezeigt, die freilich Höhen und Tiefen vorführt. Star ist da eher kleine Bild „Tauwetter am Bodensee“, das sozusagen aus dem Archiv des Regierungspräsidiums „gerettet“ werden konnte und nun fachfrauisch restauriert ein zweites Leben beginnt. Ungewollt wird die Ausstellung auch zur Hommage an Rosemarie Stuckert-Schnorrenberg, die vor wenigen Wochen als letzte Vertreterin der alten „Höri-Maler“ verstorben war. Julius Bissier führt den Glanz des Comebacks der Malerei nach den finsteren Zeiten ebenso hier im Erdgeschoss vor wie, Ferdinand Macketanz, Jean Paul Schmitz oder Max Ackermann, um nur einige zu nennen.

Im Obergeschoss blickt man auf das „Was ist“ - eben die Kunst der Gegenwart. Erstmals kann das Bild von Jürgen Palmtag besehen werden, das die Stadt im Rahmen einer vom Land geförderten Corona-Hilfsaktion angekauft hat. Johannes Dörflinger ist eine Wand zum Wand zum 80. Geburtstag gewidmet. Das Museum hat zudem vieles wegen seiner regionalen Ausrichtung geschenkt oder als Dauerleigabe überlassen bekommen, was hier auch neu gezeigt wird. Zum Beispiel ein ganzes Konvolut des in Singen geborenen Friedemann Hahn und weitere spannende „Lebenszeichen“ von Künstlern, die ihre Spuren schon in der Stadt hinterlassen haben, so von Beni Bischof, Isa Dahl, Felix Droese, Eckhard Froeschlin, Eckart Hahn,, Daniel Hausig, Velimir Ilisevic, Thomas Kitzinger, Gerold Miller, Harald F. Müller, Gerhard Opitz, Miriam Prantl, Klaus Prior, Johannes ›Jo‹ Rave, Rudolf Schoofs, Hans Schüle, Paul Schwer, Gabriel Vormstein, Markus Weggenmann und Simone Westerwinter. Man sollte sich Zeit nehmen, um in diesen Kosmos einzutauchen, vor allem nach einer so langen Zeit erzwungener Enthaltsamkeit.

Das Kunstmuseum Singen hat Dienstag – Freitag von 14 – 18 Uhr und Samstag + Sonntag von 11 – 17 Uhr geöffnet. Durch die neuen Lockerungen ist inzwischen auch wieder ein spontaner Besuch möglich.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

9 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.