Oliver Stein über ein besonderes Theaterstück
Ein einschneidendes Theater-Erlebnis

Oliver Stein  | Foto: Philipp Pongracz
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Der Zweite Weltkrieg war und bleibt ein Ereignis, welches auch die Stadt Singen so schnell nicht mehr loslässt. Dies hat auch beim Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Oliver Stein bleibende Spuren hinterlassen, als er im Jahr 2008 in seiner Heimatstadt ein ganz besonderes Stück aufführen durfte.

„Das Stück mit dem unkonventionellen Namen ‚Orte: Gütterli‘ handelt von Zwangsarbeitern der Maggi, welche dort in einem Arbeitslager unter widrigen Bedingungen ihre Arbeit verrichten mussten“, erklärt er.
Das Besondere daran ist, dass nach Kriegsende dort der französischer Befehlshaber Le Pan de Ligny die heutige Theresienkapelle als „Ort des Friedens“ errichten ließ und damit den Weitblick besaß, Menschen ins Leben zurückzuholen. „Viele der Zwangsarbeiter hatten die Befürchtung, erschossen zu werden. Was stattdessen entstand, war vielleicht die erste deutsch-französische Versöhnungsgeste.“
„Orte: Gütterli“ entstand gemeinsam mit dem Konstanzer Theaterautor Gerhard Zahner. Der schrieb den Monolog basierend auf Wilhelm Waibels Buch „Schatten am Hohentwiel“, aufgeführt wurde das Stück in und um die Theresienkapelle herum aufgeführt. „Er findet immer wieder eine besondere Erzählform, welche einen poetischen, aber direkten Zugang zu den Menschen ermöglicht“, so Stein über Zahner. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer in Ensemble-Stücken gespielt. Das war das erste Monodrama und damit in gewissem Sinne eine Premiere für mich. Bei dieser Theaterform hilft dir niemand, man ist sozusagen hoffnungslos ausgeliefert. 80 Minuten lang.“

Er habe generell viel Demut vor dem Leben und dem, was diese Menschen durchgemacht haben. „Es hat mich mit viel Dankbarkeit erfüllt und war eine einmalige Möglichkeit, diese starke Geschichte in meiner Heimatstadt aufzuführen.“ In einer Stadt, die Stein zufolge auch in seiner Jugend vielfältig und herausfordernd zugleich war. Die vielen Gastarbeiter und Fahrenden formten eine multikulturelle Gesellschaft. „Es war eine wilde Stadt und es gab Gebiete, die selbst von der Polizei großzügig umfahren wurden. Und je nach Windrichtung hing dieser Maggi-Duft wie eine eingeschlafene Wolke in der Luft. Man hatte zu der Zeit in den Werken noch keine Luftfilter eingebaut.“
Die Vorbereitung zum Stück war für Stein eine sehr besondere: „Ich war in dieser Zeit oft mit dem Regisseur Otto Edelmann, aber auch viel alleine in der Kapelle, um den Raum auch wirklich greifen zu können.“ Die Art und Weise, wie das Stück schlussendlich dem Publikum in der Theresienkapelle gezeigt wurde, würde man heute als einzigartig bezeichnen. So musste das Publikum beispielsweise über Stacheldraht steigen, den Oliver Stein im Luftschutzbunker unter dem ehemaligen Arbeitslager fand, um auf die Plätze zu gelangen.

„Ich habe mehrere Rollen gespielt, unter anderem die eines Mädchens, eines Soldaten, der Zwangsarbeiter und dem Befehlshaber.“ Eine Souffleuse hatte er nicht, so gab es hier nur den Raum, den Text und ihn. „Und natürlich Requisiten: Ich hatte einen Alutopf auf einem Gasbrenner, in dem ich symbolisch ein paar Bücher kochte, sowie einen alten Koffer mit Erinnerungsstücken, einen Militärmantel und auch Instantsuppen, welche zu dieser Zeit von der Maggi erfunden wurden.“ Ein weiteres, wichtiges Element spielte auch eine Trompete, mit der er Weinen oder Schreien verbildlichte, wenn Worte nicht mehr ausreichten.
Die Rückmeldungen, welche Stein zu seinem Monolog erhielt, überschlugen sich. „Vor allem die anwesenden Zeitzeugen, aber auch normale Zuschauer kamen oft mit Tränen in den Augen auf mich zu und haben sich bedankt.“ Darüber hinaus fanden es viele beeindruckend, dass das Stück genau an jenem Ort aufgeführt wurde, wo diese Ereignisse sich auch tatsächlich zutrugen. „Ich kann nicht beurteilen, ob es jedem gefallen hat, aber es ging niemand aus der Kapelle, ohne auf irgendeine Art berührt worden zu sein.“
Auch für seine weitere Karriere war es ein wegweisendes Stück, die Arbeit bestärkte ihn in der Absicht, selbst ins Regiefach zu wechseln. „Die Tatsache, dass ich alleine auf der Bühne einen Abend gestalten kann, hat gutgetan und mein Selbstvertrauen gestärkt.“ Die nächste Rolle war Goethes Faust und es sollten noch viele Herausforderungen folgen, „auf der Bühne und auch als Regisseur“, so Stein.

Portrait

Name: Oliver Stein

Alter: 52

Wohnort: Bern/Hilzingen

Beruf: Schauspieler und Regisseur

Was treibt mich an:
Für mich ist es die Liebe zum Menschen und meinem Beruf. Zudem ist es die geistige und seelische Weiterentwicklung, die mich vorantreibt.

Was verbinde ich mit der Region:
Ich bin in Singen geboren und auch dort aufgewachsen. Ich finde diese Stadt faszinierend, weil sie einerseits eine typische Industriestadt und ziemlich hässlich ist, gleichzeitig aber in einer der schönsten Umgebungen liegt, die ich kenne.

Der Ort:

Foto: Theater Konstanz

Oliver Stein während seiner „Verwandlung“ in ein Mädchen während der Solo-Performance „Orte: Gütterli“ in der Singener Theresienkapelle. Wo heute die Kapelle steht, befand sich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs ein Arbeitslager.

Oliver Stein  | Foto: Philipp Pongracz
Foto: Theater Konstanz
Autor:

Philipp Findling aus Singen

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