Kampf um Fachkräfte wird schärfer
Der große K(r)ampf um Kitas

Viele Gründe gibt es aktuell wieder dafür, dass es in den Kitas nur »Notbetrieb« oder ganz geschlossene Gruppen gibt. Der Fachkränftemangel und erhöhte Krankenstände sind die Ursachen. | Foto: Graphik: Amrit Raj
  • Viele Gründe gibt es aktuell wieder dafür, dass es in den Kitas nur »Notbetrieb« oder ganz geschlossene Gruppen gibt. Der Fachkränftemangel und erhöhte Krankenstände sind die Ursachen.
  • Foto: Graphik: Amrit Raj
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Kreis Konstanz. Das Thema Kinderbetreuung wird aktuell wieder ganz heiß diskutiert, schon weil vielerorts Plätze fehlen, das Fachpersonal genauso fehlt wie hauswirtschaftliche Hilfen dort, weshalb den Mitarbeitenden wiederum viel Zeit fehlt, sich um die Kinder zu kümmern, denen es auch in zunehmen Maß an Erziehungserfahrung aus der Zeit vor Kita und Krippe fehlt. Die Antwort von Ministerpräsident Kretschmann, nun einfach die Gruppengrößen zu vergrößern, stößt auf heftige Kritik allerorts, weil Fachleute immer mehr darauf pochen, dass die Gruppen eigentlich kleiner werden müssten – viel kleiner.

Und in den Städten und Gemeinden wächst zunehmend die Konkurrenz – um die bei allen heiß begehrten Fachkräfte. Sozusagen in ein Wespennest gestochen hatte der Radolfzeller OB Simon Gröger mit seiner Ankündigung, den Mitarbeitenden in den Kitas und Krippen mehr Gehalt, mehr Sozialleistungen zu bezahlen, um die Engpässe in der Stadt einigermaßen in den Griff zu bekommen. Das hat für barsche Kritik in der politischen Region gesorgt. »Mein Ziel ist es, dass wir die Fachkräfte, die hier einen so tollen Job für die Stadt machen, halten können und eine bessere Personalbindung erreichen.« Der entscheidende Punkt sei für ihn, warum viele Erzieherinnen ihren Job aufgeben würden, um sich anders zu orientieren, stellte Gröger eindringlich fest.

Singens OB Bernd Häusler wurde im Rahmen des Jubiläums der Singener Kita an der Masurenstraße schon recht kritisch in Richtung des Nachbarn: Dieser würde mit einer eventuellen Arbeitsmarktzulage den Fachkräftemangel finanziell hochschaukeln, und er bezeichnete solch Vorgehen perspektivisch als »Teufelszeug«. 

Auch der Engener Bürgermeister Johannes Moser als Vorsitzender der Kreisgruppe des Gemeindertags grätschte in die Ankündigung Grögers hinein, obwohl dessen Äußerungen ja erst noch vom Gemeinderat in Zahlen gegossen werden müssten, sprich genehmigt in einem Haushalt für das kommende Jahr. »Sollte Radolfzell eine höhere Bezahlung beschließen, dann ist das unsolidarisch«, so Moser in der Erklärung des regionalen Gemeindetags. Gröger würde freilich nichts anderes tun, als in der freien Wirtschaft üblich wäre, wird auch argumentiert.

Die Betreuung der Kitas und Kinderkrippen hat natürlich mit freier Wirtschaft wenig zu tun, könnte aber von ihr viel lernen, meinen viele Experten. Den Mangel an Fachkräften sehen diese als hausgemacht, weil die Probleme sich seit Jahren verschärfen, den Betreibern der Kitas, egal ob Städte, Kirchen, freie Träger wie private Anbieter, keine Möglichkeiten in die Hände gegeben werden, ihre Lage selbst zu verbessern. Deshalb wird der Ton in diesem Bereich zunehmen schärfer, weil die Grenzen der aktuell möglichen Kinderbetreuung auch zu Notbetrieb und Schließung von Gruppen oder mal einer Einrichtung führen, so die bittere Realität auch hier in der Region in diesen ersten Wochen nach den Sommerferien.

Mehr Kinder, mehr Erziehungsüberlassung, mehr Herausforderungen

Im Coronajahr 2021 war die Geburtenrate im Land so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes wurden vergangenes Jahr in Baden-Württemberg 113.500 Kinder lebend geboren und damit rund 5.500 mehr als 2020. Damit war die Geborenenzahl im vergangenen Jahr so hoch wie seit 1997 nicht mehr. Als Gründe gibt des Amt an, dass bereits seit dem Jahr 2014 die Zahl der Lebendgeborenen aufgrund der hohen Zuwanderung und damit verbunden einer Zunahme der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter angestiegen sei.

Hinzu komme, dass verstärkt Kinder der geburtenstarken Jahrgänge Anfang der 1960er-Jahre, die sogenannten Babyboomer, selbst wieder Kinder bekommen. Schließlich sei die relativ hohe Geburtenzahl auch auf eine hohe Geburtenrate zurückzuführen. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau lag im Jahr 2021 bei 1,63 und war damit so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr, ist der Tabelle des Statistischen Landesamtes zu entnehmen. Diese Entwicklung trifft auch auf den Landkreis Konstanz zu, wo im vergangenen Jahr 2.792 Kinder geboren wurden und die Geburtenrate 1,58 betrug. Ein Spitzenreiter war die Gemeinde Moos auf der Höri, die mit 50 Geburten ihre Anzahl gegenüber dem Vorjahr verdoppelte.

Ursächlich für den Anstieg der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau seit dem Beginn des vergangenen Jahrzehnts dürfte unter anderem die deutlich verbesserte Kinderbetreuung im Land sein, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert hat. Auch hat sich die durchschnittliche Kinderzahl je Frau aufgrund der Zuwanderung von Frauen aus Ländern mit einer traditionell hohen Geburtenhäufigkeit erhöht. Schließlich könnten hierfür die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem Höchststand an Erwerbstätigen und einer relativ geringen Arbeitslosenquote im Land eine Rolle gespielt haben, erklärt das Amt.

So erfreulich dieser Baby-Boom auf den ersten Blick scheint, hat er auch weitreichende Folgen für die Kommunen. Denn sie müssen ihr Betreuungsangebot dem jeweiligen Bedarf anpassen, da sie den Rechtsanspruch der Eltern für einen Kindergartenplatz umsetzen müssen. Für jüngere Kinder (U3) werden aufgrund des erhöhten Betreuungsbedarfs zwei Plätze zur Verfügung gestellt. Angesichts des bestehenden Fachkräftemangels im Bereich der ErzieherInnen, der oftmals strengen Kriterien beim Bau und der Ausstattung von Kindertagesstätten und Krippen und der zunehmenden Anzahl an Kindern Geflüchteter stehen die Städte und Gemeinden immer häufiger vor großen Herausforderungen, ihre Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung erfüllen zu können und suchen händeringend Fachkräfte und geeignete Räumlichkeiten.

Unterschiedliche Situationen

In Radolfzell ist die Situation in Sachen Kinderbetreeung schon länger angespannt, obwohl hier die Messmer-Stiftung schon eine Kita gebaut hat und gerade in Markelfingen an der zweiten dran ist. Zum Teil müssen Eltern in Ortsteile wie Stahringen ausweichen, weil in der Kernstadt zu wenig Plätze geboten werden könnten. In Böhringen wurde auch eine Interrimsgruppe eingerichtet, die dringend auf eine neue Einrichtung an der Untersee-Halle wartet. Und in Güttingen wurde mangels Personal schon mal aus den Sommerferien gestartet. Auch das war ein Auslöser der Stadt, hier mit mehr Attraktiviät Mitarbeiterinnen halten zu wollen.

In den Singener Kitas wird der Mangel an Fachkräften ebenso immer deutlicher spürbar, was von den aktuellen Krankheitsausfällen noch befeuert wird, »sodass Gruppen früher oder sogar ganze Tage schließen müssen«, berichtet Leonie Braun, Abteilungsleitung der Kindertagesbetreuung in der Stadt. Von diesen Ausfällen sei auch die Verwaltung betroffen, was die Organisation noch zusätzlich erschwert. Auch ein mangelndes Entgegenkommen der Eltern führe zu mehr Schwierigkeiten für die Rathausmitarbeitenden.

Dabei bleibt für Leonie Braun zentral, dass auch unter den wachsenden Herausforderungen die Qualität der Betreuung erhalten bleiben soll. So habe man sich schon vor Jahren zum Ziel gesetzt, die Gruppengrößen auf dem aktuellen Stand zu halten, auch wenn die Landesregierung anderes ermögliche. Es würden bereits jetzt gehäuft Auffälligkeiten bei der Entwicklung einiger Kinder auftreten, so die Abteilungsleiterin, eine zusätzliche Herausforderung für die strapazierten Fachkräfte. Künftig gelte es zentral Konzepte zu entwickeln, die einer großen Zahl an Kindern bei wenig Personal einen möglichst großen Betreuungsumfang zugänglich mache.
Dies versuche man beispielsweise über entsprechend qualifizierte Zusatzkräfte zu gewährleisten. Ebenfalls in Planung seien Zuschüsse für Kindertagespflegepersonen, um hier zu motivieren und weitere Kapazitäten zu erschließen.

Nicht alles im roten Bereich

Als in weiten Teilen von diesen Nöten befreit, zeigt sich die Kindertagesstätte Sankt Josef in Aach. »Auch wir haben natürlich Stolpersteine«, offenbart deren Leiterin Andrea Hartung, im Großen und Ganzen sei sie jedoch zufrieden. So finden aktuell alle 137 Kinder der kleinen Stadt hier einen Betreuungsplatz, wohl sogar bis Sommer 2023 – nur eben nicht über den Ort hinaus. Einzig bei mehreren Anmeldungen zugleich werden die Neulinge dann in Rücksprache mit den Eltern zeitlich etwas verteilt, um sie in ihrer Anfangszeit angemessen begleiten zu können. Dadurch ist stets dafür gesorgt, dass das Personal seinem Bildungsauftrag gerecht werden kann, statt einfach seine Aufsichtspflicht zu erfüllen.
Auch sei momentan nur eine Stelle unbesetzt, mit der Aussicht, bald eine passende Kraft einstellen zu können. Die Krankheitssaison hinterlässt auch hier ihre Spuren, durch ein großes und flexibles Team könne man die vermehrt auftretenden längerfristigen Ausfälle allerdings gut kompensieren, berichtet die Kindergartenleitung.
Als maßgeblich für die gute Ausgangssituation benennt Andrea Hartung die gute und vorrausschauende Zusammenarbeit des kirchlichen Trägers der Kita, die Seelsorgeeinheit Oberer Hegau, mit der Kommune. So haben sich beide gemeinschaftlich dem Projekt Ausbau gestellt und die Einrichtung damit langfristig zukunftsfest gemacht, ein »unglaublicher Kraftakt und nicht selbstverständlich«. Gerade diese konstruktive Partnerschaft und eine gute Betreuung in der Kita sieht sie als gelungene Investition in die zukünftigen Generationen und werde sich auszahlen, so die Überzeugung der Leiterin. Schwierigkeiten und Potenzial in diesem Bereich vermehrt ins Auge der Öffentlichkeit zu rücken, ist auch Hintergrund der von ihr mitgetragenen Aktion »Was Kitas leisten« (www.was-kitas-leisten.de).

Stockach sieht »grün«

In Stockach läuft es, ähnlich wie in Aach, sehr gut, was die Kindertagesstätten betrifft. Laut Sachgebietsleiterin Stefanie Lippelt habe man derzeit genügend Personal und alle Einrichtungen sind bis auf den letzten Platz besetzt. Insgesamt sind laut Sachbearbeiterin Christiane Küppers derzeit insgesamt 737 Kinder in den städtischen und kirchlichen Einrichtungen sowie bei den freien Trägern untergebracht und 164 ErzieherInnen angestellt. Dies liegt laut einer Aussage von Lippelt zum einen an der vorhandenen Dynamik: »Wir haben zurzeit viele Frauen, die in Stockach in diesem Bereich tätig sind und dort viel Bewegung reinbringen. Daher ist es ein wenig entspannter für die Trägerseite, da wir aufgrund dessen keine neuen MitarbeiterInnen suchen müssen.«
Ein weiterer Grund seien ihrer Ansicht nach die eigenen Rahmenbedingungen, zu denen vor allem der hohe Qualitätsstandard gehöre: »Wir haben speziell für unsere ErzieherInnen und Azubis ein Fort- und Ausbildungskonzept. Dies führt in den meisten Fällen dazu, dass sie auch über einen langen Zeitraum hinaus in der Einrichtung weiterarbeiten wollen.« Zudem habe man einen Arbeitskreis für alle Ausbilder, um auch dort das Personal weiterzubilden und in seiner Arbeit zu stärken. Derzeit kommen Lippelt zufolge ebenfalls viele Kinder aus der Ukraine in den Einrichtungen unter, wobei diese Familien wie andere auch die zentrale Voranmeldung durchlaufen müssen. Sollte doch ein Engpass entstehen, müsse man mit der Aufsichtsbehörde in Kontakt treten. »Es ist laut Betriebserlaubnis vorgeschrieben, wie viele ErzieherInnen pro Kind anfallen«, so Lippelt weiter. »Auf solch ein Szenario sind wir jedoch gut vorbereitet, da wir wissen, was dabei an Aufwand auf uns zukommt.«

Autor:

Redaktion aus Singen

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